Richteramt kein Freibrief für Kollegenschelte

Die verfassungsrechtlich verbriefte richterliche Unabhängigkeit gibt Richtern weder das Recht, ihre Kollegen herabzuwürdigen noch ihre politischen Ansichten zu verbreiten. Der Bundesgerichtshof hat in zwei Urteilen vom 27.10.2020 entschieden, dass solche Äußerungen der Dienstaufsicht unterliegen. In den konkreten Fällen war in Urteilen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel kritisiert und der nachfolgenden Instanz vorab sachfremde Erwägungen unterstellt worden.

Ein vorausschauender Strafrichter in Z.

Ein Strafrichter in Z. wurde von seiner Dienstaufsicht gemaßregelt, weil er in ein Strafurteil schrieb, dass die Berufungskammer seine Entscheidung "unter besonderer Berücksichtigung des Pensenschlüssels" wahrscheinlich aufheben werde. Der andere Fall betraf ebenfalls einen Strafrichter in Z., möglicherweise der gleiche Betroffene, der in einer Freispruchsbegründung die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin für "geeignet hielt, den öffentlichen Frieden zu stören". Der Präsident des Landgerichts Leipzig hielt den Richtern in seinen Urteilen beide Äußerungen nach § 26 Abs. 2 DRiG vor. Der oder die Gemaßregelten wehrten sich bis zur Revision vor dem Bundesgerichtshof, weil sie der Ansicht waren, die Urteile des Dienstgerichts würden ihre richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen - ohne Erfolg.

Kein Schutz der richterlichen Unabhängigkeit für Herabwürdigung von Kollegen...

Äußerungen im Urteil, die mit der eigentlichen Rechtsfindung nicht im Zusammenhang stehen, sondern sich in der Herabwürdigung von Kollegen erschöpfen, sind dem Bundesgerichtshof zufolge der Dienstaufsicht zugänglich. Die betreffende Passage im ersten umstrittenen Urteil sei von den übrigen Urteilsgründen ablösbar und habe mit der sachlichen Rechtsfindung nichts zu tun. Sie habe den alleinigen Zweck, den Richtern des Berufungsgerichts schon vorab eine sachfremde Motivation für die vermutete Abänderung der Entscheidung zu unterstellen.

...oder für politisches Sendungsbewusstsein

Die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 GG dient laut BGH der Rechtsfindung und dem Rechtsfrieden. Um diese zu gewährleisten, sind der Dienstaufsicht jegliche Handlungen und Entscheidungen, die hiermit zusammenhängen, entzogen. Die Flüchtlingspolitik der Regierung spielte für die Urteilsfindung keine Rolle, der Richter habe also mit der Abgabe seiner politischen Meinungsäußerung den Kernbereich seiner Unabhängigkeit verlassen und sei insoweit der Dienstaufsicht unterworfen. Die Karlsruher Richter betonten ausdrücklich: Die persönliche politische Meinung eines Richters, die für die eigentliche Rechtsfindung ohne Belang ist, hat in den Entscheidungsgründen seines Urteils nichts zu suchen.

Der Journalist und Jurist Joachim Wagner hat sich unter der Überschrift "Rechte Roben" in Heft 17/2020 der NJW mit der Problematik politisch rechts stehender Richter und Staatsanwälte befasst. Auf der Grundlage einer Umfrage bei den Landesjustizministerien gehörte Sachsen zu den elf Bundesländern, die eine Überprüfung ihres Nachwuchses für unnötig halten - man wolle nicht zum "Radikalenerlass" zurückkehren. Wagner weist darauf hin, dass eine spätere Entlassung für Äußerungen im Dienst nur schwer möglich sei. Er zitierte den Präsidenten des OLG Dresden, Gilbert Häfner, mit den Worten: "Eine Entlassung von Jens Maier wäre beim Dienstgericht nie durchgegangen." Dies obwohl der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier als Richter am Landgericht Dresden vor der "Herstellung von Mischvölkern" gewarnt und Asylsuchende als "potentielle Kriminelle" bezeichnet habe.

BGH, Urteil vom 27.10.2020 - RiZ (R) 3/20

Redaktion beck-aktuell, 30. November 2020.