Richterablehnung bei atypischer Vorbefassung in der Ausbildung

Hat ein Richter im Rahmen eines kartellrechtlichen Verfahrens zuvor während seiner Ausbildung in einer am Fall beteiligten Rechtsanwaltskanzlei selbst mitgewirkt, kann er dadurch befangen sein. Entscheidend sind dabei laut Bundesgerichtshof weitere Umstände, die an seiner Unparteilichkeit zweifeln lassen. Werde ansonsten eine prozessuale Erklärung fälschlich unterstellt, werde das rechtliche Gehör der Partei verletzt.

Richter hat während der Ausbildung am Fall mitgewirkt

Eine Lkw-Käuferin nahm mehrere Hersteller auf Ersatz kartellbedingten Schadens in Anspruch. Die Europäische Kommission hatte gegen die Großkonzerne bereits im Juli 2016 Geldbußen wegen illegaler Preisabsprachen verhängt. Im Mai 2020 teilte der mit dem Rechtsstreit betraute Richter mit, er sei während der Anwaltsstation sowie von März bis August 2019 promotionsbegleitend als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einer von den Produzenten betrauten Kanzlei tätig gewesen. Er habe an der Erarbeitung von Schriftsätzen in parallel gelagerten Gerichtsverfahren mitgewirkt und sei in die anwaltliche Vertretung eingebunden gewesen. Daraufhin stellten zwei Unternehmen einen Befangenheitsantrag. Ihr Antrag scheiterte sowohl beim LG Frankfurt am Main als auch am dortigen Oberlandesgericht. Nachdem der BGH mitgeteilt hatte, dass der betroffene Richter seit dem 01.04.2021 nicht mehr der Kammer angehöre, nahm eine Beklagte ihren Antrag zurück. Eine weitere Beklagte erklärte die Rechtsbeschwerde dahingegen für erledigt – was der Senat jedoch übersah. Ihre Anhörungsrüge hatte beim BGH Erfolg.

Aufkommende Zweifel sind entscheidend

Von der Unvoreingenommenheit eines Richters im Grundsatz auch dann auszugehen, wenn er mit der Materie des Rechtsstreits in einer nicht-richterlichen Funktion – einer sogenannten atypischen Vorbefassung – bereits befasst gewesen sei, sei falsch. Laut BGH bot seine Tätigkeit in der Kanzlei einen Grund, an seiner Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit zu zweifeln. Es sei nicht auszuschließen, dass der Beamte Kenntnis von Grundlagen der strategischen Planungen für die Rechtsverteidigung der Beklagten gegen Schadensersatzklagen wegen des von der Europäischen Kommission festgestellten Kartellverstoßes erlangt habe. Zudem sei seine Beteiligung über die nach den Vorgaben der jeweiligen Ausbildungsordnung gebotene Tätigkeit deutlich hinausgegangen.

Aus Sicht der obersten Zivilrichter wurde der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Man habe aufgrund eines Versehens angenommen, (auch) die Beklagte zu 3 habe ihre Rechtsbeschwerde zurückgenommen, obwohl sie eine solche prozessuale Erklärung tatsächlich nicht abgegeben habe. Der BGH korrigierte seinen Fehler und sprach die Erledigung aus. Nach Ausscheiden des abgelehnten Richters sei für das Unternehmen das Rechtsschutzbedürfnis für den Befangenheitsantrag entfallen und damit das Ablehnungsgesuch unzulässig geworden.

Redaktion beck-aktuell, 8. November 2021.