Restschadensersatz nach Verjährung für vom Dieselskandal betroffene Neuwagen
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Trotz Verjährung eines Anspruchs wegen § 826 BGB steht dem Käufer eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Neuwagen grundsätzlich ein Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB gegen den Hersteller zu. Das hat gestern der VIa. Zivilsenat in zwei Fällen entschieden und die Verfahren jeweils zurückverwiesen. Die OLG müssen noch die Höhe des Schadensersatzes anhand der vom Senat angestellten Überlegungen festsetzen. 

Klage wegen Dieselmotor der Baureihe EA 189

In beiden Verfahren nahmen die Kläger die beklagte Volkswagen AG (VW) auf Schadensersatz nach Erwerb eines Kraftfahrzeugs in Anspruch. Der Kläger im ersten Verfahren (Az.: VIa ZR 8/21) erwarb im April 2013 zu einem Kaufpreis von rund 30.000 Euro einen Neuwagen von der Beklagten als Herstellerin, die Klägerin im zweiten Verfahren (Az.: VIa ZR 57/21) erwarb im Juli 2012 zu einem Kaufpreis von rund 36.000 Euro einen von der Beklagten hergestellten Neuwagen von einem Händler. Beide Fahrzeuge waren beim Erwerb mit einer Software ausgestattet, die erkannte, ob es sich auf einem Prüfstand befand, und in diesem Fall vom regulären Abgasrückführungsmodus in einen Stickoxid-optimierten Modus wechselte. Beide Kläger ließen nach bekanntwerden des "Dieselskandals" ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update aufspielen.

Verfahrensgänge

Während die Landgerichte noch unterschiedlich entschieden hatten, hatten die Oberlandesgerichte in beiden Verfahren Ansprüche der Klagenden verneint. Sie räumten ein, dass zwar dem Grunde nach ein Anspruch nach § 826 BGB gegen die Beklagte bestehe, dieser Anspruch sei aber indessen verjährt. Verneint haben die OLG mit etwas unterschiedlichen Begründungen einen (unverjährten) Anspruch auf Gewährung von Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB gegen VW. Das Berufungsgericht im ersten Verfahren hat die Revision "hinsichtlich des Herausgabeanspruchs nach Eintritt der Verjährung gemäß § 852 BGB" zugelassen. Mit seiner Revision hat der Kläger, der eine wirksame Zulassungsbeschränkung in Zweifel gezogen hat, sein Klagebegehren im Umfang der zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt. Im zweiten Verfahren hat das Berufungsgericht die Revision "in Anbetracht der divergierenden obergerichtlichen Rechtsprechung zum Umfang des im Fall des Neuwagenkaufs über einen Vertragshändler im Sinne des § 852 Satz 1 BGB Erlangten" zugelassen. Mit ihrer Revision hat die Klägerin, die eine wirksame Zulassungsbeschränkung in Zweifel gezogen hat, ihr Klagebegehren weiterverfolgt.

BGH hebt Berufungsurteile teilweise auf

Der VIa. Zivilsenat hat in beiden Verfahren auf die Revisionen der Kläger die Berufungsurteile insoweit aufgehoben, als die Berufungsgerichte einen Anspruch auf Schadensersatz auf der Grundlage des von den Klägern verauslagten Kaufpreises verneint und den Anträgen auf Feststellung des Annahmeverzugs nicht entsprochen haben. Soweit die Kläger Ersatz vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten begehrt haben, hat der Senat die klageabweisenden Entscheidungen bestätigt. Das gilt im zweiten Verfahren auch, soweit die Klägerin dort Ersatz der von ihr aufgewandten Finanzierungskosten beansprucht hat. Der BGH ist davon ausgegangen, die Revision könne nicht wirksam auf die Frage des Bestehens eines Anspruchs aus § 852 Satz 1 BGB beschränkt werden. Vielmehr sei in beiden Verfahren nicht nur zu überprüfen, ob die Berufungsgerichte einen Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB rechtsfehlerfrei verneint hätten, sondern vorrangig auch, ob ihre Überlegungen zu einer Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB zuträfen.

Ansprüche aus § 826 BGB verjährt

Weiter stellt der BGH im zweiten Verfahren fest, dass von einer Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB schon deshalb auszugehen sei, weil die Klägerin im Jahr 2016 über die konkrete Betroffenheit ihres Fahrzeugs durch ein Schreiben unterrichtet worden war und ein Software-Update hatte aufspielen lassen. Im ersten Verfahren hat sich der VIa. Zivilsenat der Auffassung des VII. Zivilsenats angeschlossen, dass den Kläger jedenfalls ab dem Jahr 2016 der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs getroffen habe. Da beiden Klägern die Klageerhebung noch im Jahr 2016 zumutbar gewesen sei, habe die dreijährige Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB mit dem Schluss des Jahres 2016 begonnen und sei am 31.12.2019 abgelaufen, so dass sie durch die Erhebung der Klagen im Jahr 2020 nicht mehr wirksam habe gehemmt werden können. Weiter stellte der Senat fest, dass sich die VW AG im ersten Verfahren auch auf die Einrede der Verjährung berufen durfte, obwohl sie auf diese Einrede in erster Instanz "verzichtet" habe. Diesen Verzicht habe das Berufungsgericht zutreffend nicht als endgültigen materiell-rechtlichen Verzicht gewertet. Richtig hätten beide Berufungsgerichte auch entschieden, dass es der Beklagten nach Treu und Glauben nicht verwehrt sei, sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen.

BGH bejaht aber Anspruch nach § 852 BGB

Nach der Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB steht aber den Klägern in beiden Verfahren ein Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 Satz 1 BGB zu, stellt der BGH weiter fest. Dieser Anspruch bestehe ohne Rücksicht darauf, dass die Beklagte auch vor Ablauf der Verjährung ohne Schwierigkeiten als Schädigerin hätte in Anspruch genommen werden können. Der Geltendmachung eines Anspruchs aus § 852 Satz 1 BGB stehe auch nicht entgegen, dass sich die Kläger nicht an einem Musterfeststellungsverfahren gegen die Beklagte beteiligt hätten. Nach § 852 Satz 1 BGB müsse VW, die die Kläger durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs geschädigt habe, das von ihr Erlangte herausgeben. Erlangt habe die Beklagte im ersten Verfahren einen Anspruch gegen den Kläger aus dem Kaufvertrag. Nach Erfüllung der Forderung aus dem Kaufvertrag durch den Kläger habe die Beklagte als Ersatz im Sinne des § 818 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB den Kaufpreis erlangt. Im zweiten Verfahren habe die Beklagte eine Forderung gegen den Händler aus Kaufvertrag erlangt. Ihre Bereicherung setze sich nach Erfüllung dieser Forderung am Händlereinkaufspreis fort.

§ 826 BGB begrenzt Anspruch aus § 852 BGB

Nicht "erlangt" habe die Beklagte dagegen Leistungen an die von den Klägern vorgerichtlich mandatierten Rechtsanwälte und im zweiten Verfahren von der Klägerin verauslagte Finanzierungskosten, so dass sich der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB - anders als der verjährte Anspruch aus § 826 BGB - nicht auf solche Schäden erstrecke. Herstellungs- und Bereitstellungskosten nach § 818 Abs. 3 BGB könne VW nicht abziehen, weil sie sich im Sinne der §§ 818 Abs. 4, 819 BGB bösgläubig bereichert habe. Allerdings reiche der Anspruch auf Restschadensersatz aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB nicht weiter als der Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB, der grundsätzlich der Vorteilsausgleichung unterliege. Die Kläger müssten sich deshalb eine Nutzungsentschädigung für die von ihnen mit den Fahrzeugen gefahrenen Kilometer anrechnen lassen und könnten Zahlung nur Zug um Zug gegen Herausgabe der Fahrzeuge verlangen.

An Berufungsgerichte zurückverwiesen

Da die Vorinstanzen - von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zur Höhe einer anzurechnenden Nutzungsentschädigung getroffen haben, hat der VIa. Zivilsenat die Sachen zur Klärung der Höhe anzurechnender Vorteile an die Berufungsgerichte zurückverwiesen.

BGH, Urteil vom 21.02.2022 - VIa ZR 8/21

Redaktion beck-aktuell, 22. Februar 2022.