Reservierungsgebühr für Zeit vor Einzug ins Pflegeheim auch bei Privatversicherten unzulässig
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Pflegeheime dürfen auch von privatversicherten Pflegebedürftigen keine Reservierungsgebühr für die Zeit bis zum tatsächlichen Einzug des Pflegebedürftigen in das Heim verlangen. Dies hat der Bundesgerichtshof heute entschieden. Eine solche Vereinbarung sei mit § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI unvereinbar und deshalb unwirksam.

Streit um "Platzgebühr" vor Einzug ins Pflegeheim

Der Kläger schloss als Vertreter seiner privat pflegeversicherten Mutter einen ab dem 15.02.2016 geltenden "Vertrag für vollstationäre Pflegeeinrichtungen". Der Einzug bei der Beklagten erfolgte am 29.02.2016. Der Pflegevertrag sah vor, dass die (künftige) Bewohnerin vom Vertragsbeginn bis zum Einzugstermin eine Platzgebühr in Höhe von 75% der Pflegevergütung, der Entgelte für Unterkunft und Verpflegung sowie des Umlagebetrags nach der Altenpflegeausbildungsausgleichsverordnung (AltPflAusglVO) zu entrichten hatte. Der Kläger zahlte die entsprechende Platzgebühr, forderte sie aber später zurück. Er machte geltend, gemäß § 87a SGB XI habe eine Vergütungspflicht erst ab dem tatsächlichen Einzug seiner Mutter in das Pflegeheim bestanden. Abweichende Vereinbarungen seien unwirksam. Während das Amtsgericht die Beklagte zur Zahlung des geforderten Betrags verpflichtete, änderte das Landgericht das Urteil in der Berufungsinstanz ab und sprach dem Kläger unter Klageabweisung im Übrigen nur einen Bruchteil der eingeklagten Summe zu.

BGH: Vereinbarung einer Reservierungsgebühr ist unwirksam

Die Revision hatte Erfolg. Der BGH hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, soweit die Klage abgewiesen worden war. Die Vereinbarung einer Platz-/Reservierungsgebühr sei mit § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG in Verbindung mit § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI unvereinbar und daher unwirksam (15 Abs. 1 Satz 2 WBVG, § 87a Abs. 1 Satz 4 SGB XI). Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG müssten in Verträgen mit Verbrauchern, die Leistungen nach dem SGB XI in Anspruch nähmen, die Vereinbarungen den Regelungen des Siebten und Achten Kapitels des SGB XI sowie den aufgrund dieser Kapitel getroffenen Regelungen entsprechen. Die Verweisung in § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG auf die Vorschriften des Achten Kapitels des SGB XI über die Vergütung der Pflegeleistungen schließe die zu diesen Bestimmungen zählende Regelung des § 87a Abs. 1 SGB XI ein.

Sozialrechtliche Vorgaben gelten auch für privat Pflegeversicherte

Der Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 WBVG umfasse nicht nur Verbraucher, die unmittelbar Leistungen der sozialen Pflegeversicherung im Sinne des § 28 SGB XI unmittelbar bezögen, sondern auch Verbraucher, die Leistungen einer privaten Pflegepflichtversicherung erhielten und damit mittelbar Leistungen auf der Basis des Vierten Kapitels des SGB XI in Anspruch nähmen. Dafür sprächen nicht nur der enge systematische Zusammenhang und die leistungsmäßige Gleichstellung der sozialen und der privaten Pflegeversicherung (§ 23 in Verbindung mit § 110 SGB XI), sondern vor allem auch der in der Gesetzesbegründung eindeutig zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers sowie Sinn und Zweck der Vorschrift.

Verweis auf Gesetzesbegründung

In der Gesetzesbegründung sei ausgeführt, dass mit § 15 Abs. 1 WBVG eine Sonderregelung für das Verhältnis zwischen vertraglichen Vereinbarungen von Unternehmer und Verbraucher und den gesetzlichen Regelungen des SGB XI geschaffen werde. Hiernach seien vertragliche Vereinbarungen, die den Vorschriften des SGB XI sowie den aufgrund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen nicht entsprächen, unwirksam. Erfasst würden mit der Bezugnahme auf die Regelungen des SGB XI auch die Fälle mittelbarer Leistungsinanspruchnahme im Rahmen der privaten Pflegepflichtversicherung.

Vorrang des gesetzlichen Leistungserbringungsrechts

Dem in der Gesetzesbegründung betonten Zweck des § 15 Abs. 1 WBVG, den Vorrang des Leistungserbringungsrechts nach dem SGB XI vor vertraglichen Vereinbarungen nach dem WBVG sicherzustellen und die zivilrechtlichen/vertragsrechtlichen Vorgaben des WBVG mit den leistungsrechtlichen Bestimmungen des SGB XI zu harmonisieren, könne nur dann umfassend Rechnung getragen werden, wenn der Anwendungsbereich der Norm auch auf die Fälle der mittelbaren Inanspruchnahme von Sozialleistungen nach dem SGB XI erstreckt werde. Andernfalls käme es zu einer kaum nachvollziehbaren Ungleichbehandlung der hinsichtlich des Leistungsumfangs gleichgestellten Versicherten in der privaten Pflegeversicherung, die der Gesetzgeber in diesem Bereich gerade vermeiden wollte.

Prinzip der taggenauen Leistungsabrechnung

Es sei mit § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI unvereinbar, eine Platz- oder Reservierungsgebühr auf der Basis des vertraglichen Leistungsentgelts für die Zeit vor der Aufnahme des Pflegebedürftigen in das Pflegeheim bis zum tatsächlichen Einzugstermin vertraglich festzulegen. Dies widerspräche nicht nur dem Prinzip der Abrechnung der tatsächlichen Leistungserbringung auf Tagesbasis, sondern begründete auch die (naheliegende) Gefahr, dass Leerstände im Anschluss an einen Auszug oder das Versterben eines Heimbewohners doppelt berücksichtigt würden, nämlich zum einen über die in die Pflegesätze eingeflossene Auslastungskalkulation und/oder etwaige Wagnis- und Risikozuschläge und zum anderen über die zusätzliche Inrechnungstellung eines Leistungsentgelts ohne tatsächliche Leistungserbringung gegenüber einem zukünftigen Heimbewohner. § 87a Abs. 1 Satz 4 SGB XI erkläre die Regelungen zur Zahlungspflicht nach § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI für zwingend. Wegen § 15 Abs. 1 Satz 2 WBVG sei es auch nicht möglich, abweichenden Vereinbarungen in einem Wohn- und Betreuungsvertrag den Vorrang einzuräumen. Die Beklagte sei daher nach Bereicherungsrecht zur kompletten Rückerstattung verpflichtet.

BGH, Urteil vom 15.07.2021 - III ZR 225/20

Redaktion beck-aktuell, 15. Juli 2021.