Rechtsweg: Auch fragwürdige Verweisung noch grundsätzlich bindend

Auch wenn ein Gericht rechtlich sehr zweifelhaft verfährt, nimmt dies einer Verweisung nach § 17a GVG noch nicht ihre Bindungswirkung. Laut BGH kommt eine Durchbrechung der Bindungswirkung allenfalls bei extremen Verstößen in Betracht. An einem solchen fehlte es laut BGH im entschiedenen Fall.

Das AG Berlin-Köpenick verwies einen bei ihm anhängig gemachten Prozess um Schadensersatz nach § 281 ZPO an das ArbG. Dieses lehnte die Übernahme aber ab und schickte die Akten an das AG zurück. Daraufhin erklärte das AG den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig und verwies den Rechtsstreit nach § 17a Abs. 2 GVG erneut an das ArbG. Auf die sofortige Beschwerde des klagenden Unternehmens "half" das AG dieser durch Anberaumung eines Termins "ab" und erließ in diesem ein Versäumnisurteil. Im Einspruchstermin verwies das AG den Streit wieder nach § 17a Abs. 2 GVG an das ArbG. Das ArbG erklärte sich für unzuständig und rief den BGH zur Bestimmung des zuständigen Gerichts an. Es hielt die Verweisung nach der Anberaumung des Termins und dem Erlass des Versäumnisurteils für grob rechtswidrig und nicht bindend.

Der Rechtsstreit verbleibt beim ArbG: Der BGH hat nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO analog bestimmt, dass dieses zuständig ist (Beschluss vom 16.04.2024 - X ARZ 101/24). Die Verweisung der Sache an das ArbG im Einspruchstermin sei nach § 17a Abs. 2 S. 3 GVG bindend, nachdem die Parteien sie nicht angegriffen hätten und die Verweisung damit unanfechtbar sei. Zwar erscheint es dem BGH sehr fragwürdig, wie das AG verfahren ist, nachdem das ArbG die Akten zurückgegeben hatte. Aber "eine Durchbrechung der Bindungswirkung kommt allenfalls bei 'extremen Verstößen' gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht". Hier sei dem AG aber kein solcher "extremer Verstoß" anzulasten.

Verweisung bindend, kein "extremer Verstoß"

Ein solcher ergebe sich nicht schon daraus, dass das AG den Streit nach Rücksendung der Akten nach § 17a GVG erneut an das ArbG verwiesen hat, nachdem es ihn zuvor schon nach § 281 ZPO an dieses verwiesen hatte. Laut BGH ist der Fall nicht vergleichbar mit einer vom BAG (Beschluss vom 21.12.2015 - 10 AS 9/15, NZA 2016, 446) entschiedenen Konstellation: Dort hatte ein AG an das LG verwiesen, das LG schickte die Akten mit der Bitte um Überprüfung der Abgabe zurück, woraufhin das AG den Verweisungsbeschluss aufhob und die Sache ans ArbG verwies. Das BAG sah darin eine krasse Rechtsverletzung, weil die Sache bei der Verweisung an das ArbG nicht mehr beim AG anhängig war. Der vorliegende Fall liege aber anders, so der BGH: Das ArbG habe die Akten an das AG nicht zwecks Überprüfung zurückgeschickt, sondern weil es eine Übernahme abgelehnt habe. Auch habe das AG die Sache dann nicht an ein drittes Gericht verwiesen, sondern erneut an das ArbG.

Die Verfahrensweise des AG sei zwar widersprüchlich, dass reiche aber nicht, um dem Verweisungsbeschluss die Bindungswirkung zu nehmen. Der BGH verweist darauf, dass ein Gericht seine Zuständigkeit grundsätzlich in jeder Lage des Verfahrens überprüfen müsse. Das gelte auch dann, wenn es bereits ein Versäumnisurteil gibt oder ein Verweisungsbeschluss auf Beschwerde aufgehoben worden ist. Ob die erste, auf § 281 ZPO und damit auf eine "offensichtlich nicht einschlägige Rechtsgrundlage" gestützte Verweisung bindend war, ließ der BGH offen.

BGH, Beschluss vom 16.04.2024 - X ARZ 101/24

Redaktion beck-aktuell, hs, 15. Juli 2024.