Rechtsmittelführer ist auch durch Auslegung zu ermitteln

Ist aus einer Berufungsschrift nicht klar erkennbar, für wen das Rechtsmittel eingelegt wurde, muss das Gericht dies auch durch Auslegung des Schriftsatzes und sonstiger vorliegender Unterlagen klären. Drängt sich danach der richtige Berufungskläger auf, darf laut Bundesgerichtshof trotz Verwechslung der Parteien durch den Anwalt das Rechtsmittel nicht verworfen werden.

Anwältin benennt falschen Berufungskläger

Ein Firmeninhaber verlangte von seiner Kundin die Zahlung von Werklohn. Das AG Kleve verurteilte sie zur Zahlung von 4.125 Euro. Am 17.02.2020 legte ihre neue Anwältin beim dortigen LG Berufung ein – in Form eines zweiseitigen Schriftstücks, dem eine Ablichtung des erstinstanzlichen Urteils beilag. In der Berufungsschrift waren auf der ersten Seite die Berufungsklägerin und der Berufungsbeklagte sowie deren Prozessbevollmächtigte namentlich genannt. Auf Seite 2 hieß es, es werde "namens und in Vollmacht des Klägers und Berufungsklägers" Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegt. Das LG hob den Termin zur mündlichen Verhandlung auf und gab zu bedenken, dass die Berufung unzulässig sein dürfte, da sich aus der Berufungsschrift nicht zweifelsfrei ergebe, für welche Partei das Rechtsmittel eingelegt worden sei. Erst nachdem sich nach Ablauf der Rechtsmittelfrist die Anwälte des Unternehmers bestellt hätten, habe die Kammer den Schluss ziehen können, dass die Berufungseinlegung offenbar für die Beklagte habe erfolgen sollen. Das LG verwarf die Berufung der Frau als unzulässig. Dagegen richtete sich ihre Rechtsbeschwerde – mit Erfolg.

BGH: Auslegung und sonstige Unterlagen entscheidend

Der BGH verwies die Sache am 24.02.2021 an eine Schwesterkammer des LG zurück. Zwar gehöre zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 ZPO die Angabe aller Beteiligten, die Rechtsmittelführer sein sollen. Aus Sicht der Karlsruher Richter bedeutet dies indes nicht, dass die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre. Sie könne vielmehr auch im Weg der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden.

Zweifel waren vollständig beseitigt

Dem VII. Zivilsenat zufolge muss die Auslegung der fristgerecht eingegangenen Berufungsschrift zu dem Ergebnis führen, dass die Kundin zweifelsfrei als Berufungsklägerin anzusehen ist. Er kritisierte, dass das LG die Unzulässigkeit der Berufung allein daraus hergeleitet habe, dass die von der Juristin eingereichte Berufungsschrift widersprüchlich gewesen sei – dass es die angefochtene Entscheidung dabei aber nicht einbezogen habe. Dem BGH war unklar, wie das LG zu dem Schluss gekommen war, dass die Anwältin das Rechtsmittel für den Kläger habe einlegen wollen, obwohl als dessen anwaltliche Vertreter weiterhin ausdrücklich seine erstinstanzlichen Bevollmächtigten angegeben waren. Im Übrigen habe der Kläger in der ersten Instanz vollständig gewonnen. Insofern habe es sich aufdrängen müssen, dass sie die Berufung als (neue) anwaltliche Vertreterin der Beklagten eingelegt habe, als deren zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte sie im Rubrum der Berufungsschrift auch ausdrücklich aufgeführt gewesen sei.

BGH, Beschluss vom 24.02.2021 - VII ZB 8/21

Redaktion beck-aktuell, 12. März 2021.