Rechtsmitteleinlegung beim falschen Gericht und richterliche Fürsorgepflicht

Wenn ein Rechtsanwalt die Revision bei dem falschen Gericht einlegt und von diesem Gericht darauf hingewiesen wird, kann die versäumte Frist zur Einlegung des Rechtsmittels nicht geheilt werden. Das hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 19.08.2020 entschieden.

Frist versäumt: Ex-Anwälte legen Revision bei unzuständigem OLG ein

Ein Autofahrer verlangte die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die versäumte Frist zur Einlegung der Revision vor dem BGH. Zuvor hatten seine beiden in zweiter Instanz für ihn tätigen Rechtsanwälte fälschlicherweise beim Oberlandesgericht Schleswig Revision eingelegt. Das AG Niebüll hatte zunächst einer Regressklage seiner Kfz-Haftpflichtversicherung gegen ihn wegen Fahrens ohne Führerschein überwiegend stattgegeben. Seine Berufung war vom LG Flensburg zurückgewiesen worden. Das Berufungsurteil wurde den vor dem Landgericht tätigen Rechtsanwälten des Versicherungsnehmers am 03.04.2020 zugestellt. Diese legten am 14.04.2020 Revision beim OLG Schleswig ein, nahmen sie aber am 06.05.2020 wieder zurück.

BGH-Anwälte: Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt

Am 18.05.2020 legten seine jetzigen Anwälte für den Mandanten umfassend Revision ein - nunmehr vor dem BGH - und beantragten Wiedereinsetzung. Sie trugen vor, dass die Revision noch rechtzeitig durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt hätte eingelegt werden können, wenn das OLG Schleswig die Revisionsschrift an den BGH weitergeleitet oder die ehemaligen Anwälte telefonisch oder kurz schriftlich über ihren Fehler informiert hätte.

BGH: OLG ist prozessualen Fürsorgepflichten nachgekommen

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand hatte keinen Erfolg: Aus Sicht des IV. Zivilsenats beruht die Fristversäumung auf einem dem Versicherungsnehmer nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seiner früheren Anwälte. Der Umstand, dass die in zweiter Instanz tätigen Prozessbevollmächtigten keinen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalt mit der Einlegung des Rechtsmittels beauftragt, sondern dies lediglich selbst beim unzuständigen Oberlandesgericht eingelegt hätten, spreche dafür. Ein Verstoß des Oberlandesgerichts gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren liege nicht vor, so die Karlsruher Richter. Vielmehr sei den Gerichtsakten zu entnehmen, dass der Senatsvorsitzende am OLG Schleswig am 20.04.2020 - lange vor Ablauf der Revisionsfrist - durch doppelten Hinweis etwaigen prozessualen Fürsorgepflichten nachgekommen sei. Er habe per Fax auf die Unzulässigkeit der eingelegten Revision hingewiesen und dann telefonisch anfragen lassen, ob das Fax angekommen sei. Nach dem Gesprächsprotokoll sei auch nochmals auf die Unzuständigkeit und die demnächst ablaufende Revisionsfrist hingewiesen worden. Seitens der Kanzlei sei mitgeteilt worden, dass möglicherweise eine Kollegin das Fax zur Bearbeitung mitgenommen habe. Eine zusätzliche Weitersendung der Revisionsschrift durch das OLG nach Karlsruhe war nach Ansicht der Bundesrichter nicht notwendig. Die Revision hätte durch die nicht beim BGH zugelassenen Anwälte in keinem Fall eingelegt werden können.

Organisationsverschulden in Kanzlei möglich

Sofern den zuvor beauftragten Juristen durch ihr Personal weder das Faxschreiben vorgelegt noch der telefonische Hinweis mitgeteilt worden sein sollte, würde dies auf ein Organisationsverschulden hindeuten, so die Richter weiter. Ein Rechtsanwalt habe seine Kanzlei so zu organisieren, dass die Vorlage an ihn gerichteter Mitteilungen auch dann gesichert sei, wenn deren Bearbeitung durch angestellte Mitarbeiter außerhalb der Kanzleiräume erfolge und eingehende Schriftsätze mit nach Hause genommen würden.

BGH, Beschluss vom 19.08.2020 - IV ZR 122/20

Redaktion beck-aktuell, 7. September 2020.