Rechtsanwälte als Scheinselbstständige – Vorenthalten von Arbeitsentgelt
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Ob ein Rechtsanwalt in einer Kanzlei freie Mitarbeit leistet oder angestellt ist, richtet sich laut Bundesgerichtshof nicht allein nach dem Vertragswerk zwischen den Parteien. Neben den allgemeinen Kriterien ist auch darauf abzustellen, wer das Unternehmerrisiko trägt und wie die Vergütung gehandhabt wird. Zahlen die Arbeitnehmer ihre Sozialabgaben selbst, lässt dieser Umstand nicht den Tatbestand der Veruntreuung von Arbeitsentgelt entfallen, sondern kann nur in der Strafzumessung berücksichtigt werden.

Rechtsanwaltskollegen als Scheinselbstständige beschäftigt

Ein Rechtsanwalt in Traunstein schloss mit zwölf seiner Kollegen einen Vertrag zur freien Mitarbeit. Sie arbeiteten 40-60 Stunden pro Woche für ihn, bekamen von ihm die Mandate zugewiesen und nutzen seine kanzleiinterne Infrastruktur. Er zahlte ihnen ein festes Gehalt. Großteils wurde in einer Zusatzvereinbarung geregelt, dass eigene Mandate der Vertragspartner außerhalb der Kanzlei seiner Zustimmung bedurften. Nach den Feststellungen des Landgerichts Traunstein blieb er den Sozialversicherungsträgern von Februar 2013 – Dezember 2017 in 189 Fällen insgesamt Beiträge in Höhe von rund 120.000 Euro schuldig. Er wurde deshalb wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und einer Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 200 Euro verurteilt. Die einbehaltenen Beiträge wurden eingezogen. Sowohl der Rechtsanwalt als auch die Staatsanwaltschaft erhoben Revision zum Bundesgerichtshof – teilweise erfolgreich.

Straftatbestand des § 266a StGB an sich eindeutig erfüllt

Nach den Kriterien des Sozialversicherungsrechts ist dem BGH zufolge der Angeklagte trotz der vertraglichen Vereinbarungen eindeutig ein Arbeitgeber und begründete mit den zwölf Rechtsanwälten ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis. So habe er Arbeitszeiten, Ort, Inhalt und Art der Tätigkeit seiner scheinselbstständigen Arbeitnehmer bestimmt. Sie hätten keinerlei Unternehmerrisiko getragen und hätten eine vom Kanzleigewinn unabhängige Vergütung erhalten. Mit der Zusatzvereinbarung hebelte der Angeklagte laut den Karlsruher Richtern den Vertrag zur freien Mitarbeit wieder aus. Die ausgezahlten Gehälter hätten demzufolge nur eine Nettovergütung gebildet und er hätte noch die Sozialabgaben abführen müssen. Die gezahlten Beiträge seiner Arbeitnehmer in die Sozialversicherungskassen lassen den Straftatbestand dabei nicht entfallen, so der 1. Strafsenat, denn diese seien keine Dritten, sondern die illegal Beschäftigten. Diese Zahlungen könnten nur in der Strafzumessung berücksichtigt werden.

Berechnung der Schadenssumme

Das Landgericht Traunstein hat dem BGH zufolge aber die Schadenssumme nicht nachvollziehbar berechnet. Das Urteil entspreche insoweit nicht den Darstellungsanforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO, weil man die Hochrechnung vom Netto- auf das Bruttogehalt nach § 14 Abs. 2 SGB IV nicht nachprüfen könne. Sowohl die Berechnungsgrundlagen als auch der Rechenweg müssten in den Urteilsgründen dargelegt werden, da der Schaden für den Schuldumfang und für die Einziehungsentscheidung grundlegend sei. Die bloße Bezugnahme auf Angaben von Sachverständigen genügt dem 1. Strafsenat nicht, zumal sich auch starke Abweichungen der Hochrechnungen im Urteil finden würden. Der BGH hob deshalb den Strafausspruch auf und verwies die Sache zurück. Die Richter gaben dabei zu bedenken, dass im Hinblick auf § 41 StGB überprüft werden sollte, ob die Kumulation einer Freiheitsstrafe, einer Geldstrafe und der Einziehung sinnvoll ist, um den Täter zu bestrafen.

BGH, Urteil vom 08.03.2023 - 1 StR 188/22

Redaktion beck-aktuell, 22. Mai 2023.