Prozess um Telekom-Börsengang muss erneut verhandelt werden
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Mehr als 20 Jahre nach dem dritten Börsengang der Deutschen Telekom AG im Jahr 2000 muss der zugehörige Anlegerschutzprozess noch einmal aufgerollt werden. Der Bundesgerichtshof hat den Musterentscheid des Oberlandesgerichts Frankfurt a. M. erneut in Teilen aufgehoben und zur Neuverhandlung zurückverwiesen. Rund 17.000 Anleger hatten damals nach einer Werbekampagne auch mit Schauspieler Manfred Krug Anteile gekauft und dann einen herben Kurssturz miterlebt.

Fehler im Börsenprospekt

Hinter dem Musterverfahren stehen rund 17.000 zumeist Kleinaktionäre, die Schadenersatz für ihre Kursverluste mit der vermeintlichen Volksaktie in Höhe von rund 80 Millionen Euro verlangen. Die Klagen der Investoren waren zu einem Kapitalanlegermusterverfahren zusammengefasst worden, das bereits zweimal am OLG Frankfurt verhandelt wurde. Bis zu dessen Ende, das nun noch immer nicht absehbar ist, sind alle Prozesse in erster Instanz ausgesetzt. Nach früherer Feststellung des BGH enthält der Börsenprospekt schwerwiegende Fehler im Zusammenhang mit der US-Beteiligung Sprint. In der 1999er-Bilanz der Telekom war dafür ein Sondergewinn von 8,2 Milliarden Euro ausgewiesen, obwohl die Beteiligung nur intern an eine Konzerntochter "umgehängt" worden war.

Konzerntochter nur "umgehängt"

Die Frankfurter Richter haben nach Auffassung des BGH nicht ausreichend geprüft, ob dieser Sprint-Vorgang später tatsächlich Auslöser für den Kursabsturz der Aktie war. Dies solle nun mit einem Gutachten nachgeholt werden. In einem anderen Punkt bestätigte er die (zweite) Frankfurter Entscheidung, die aus dem Jahr 2016 stammt: Allein die Falschangabe im Verkaufsprospekt löst noch keinen Anspruch auf Schadenersatz aus. Vielmehr müsse in jedem Einzelfall geklärt werden, ob der Anleger seine Kaufentscheidung anhand des Prospekts getroffen hat. Die Beweislast liegt allerdings bei der Telekom, die darlegen muss, dass die Aktionäre das eben nicht getan haben.

Klägeranwalt sieht sich als Sieger

"17.000 Anleger erreichen historischen Meilenstein vor dem Bundesgerichtshof gegen die Deutsche Telekom AG", bejubelte Klägeranwalt Andreas Tilp die Entscheidung. Seine Kanzlei aus Kirchentellinsfurt bei Tübingen ist längst auf – teilweise milliardenschwere – Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) spezialisiert. "Damit hat der BGH zu allen noch verbliebenen Fragen der Telekom die volle Beweislast auferlegt", erklärte BGH-Anwalt Professor Volkert Vorwerk, der mit Tilp zusammenarbeitet. Die Telekom sieht hingegen keinen Zusammenhang zwischen dem Prospektfehler und dem damaligen Kursverlauf der T-Aktie. "Wir sind sehr zuversichtlich, dass dies auch ein unabhängiges Gutachten bestätigen wird", erklärte ein Sprecher in Bonn.

Eine eigene "Lex Telekom"

Weil das KapMuG diesem Verfahren seine Existenz verdankt, wird es gelegentlich auch "Lex Telekom" genannt. Der damalige Präsident des LG Frankfurt am Main drang bei der seinerzeitigen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) nachdrücklich auf eine schnelle Verabschiedung durch den Bundestag, weil sein Gericht sonst in der Flut der eintrudelnden Klagen "absaufen" würde. Als dann endlich der erste Verhandlungstag am OLG Frankfurt am Main anstand, hatte die Justiz eigens einen Saal in einem Bürgerhaus der Stadt angemietet – doch wider Erwarten erschienen weniger Anleger als Fernsehteams, die sich im Gebäude auf die mühselige Jagd nach "Betroffenen" machten.

Umfangreiche Beweisaufnahme

Der Senat flog zur Zeugenbefragung sogar in die USA, machte aber deutlich, dass er die Klagen für aussichtslos hielt. Was die Anwälte des "Musterklagevertreters" offenbar auf Verzögerungen spekulieren ließ, bis der Vorsitzende turnusmäßig in Pension gehen musste – wie es denn auch geschah. Seine Nachfolgerin konnte allerdings über ein Jahr lang ihre Stelle nicht antreten, weil sie durch eine interne Konkurrentenklage blockiert wurde. Als sie schließlich das Steuer übernommen hatte, gaben sie und ihre Senatskollegen nach weiteren Verhandlungsterminen schließlich der Telekom recht.

Noch ein Justiz-Pensionär

Die Beschwerde der Anwälte des bereits verstorbenen Musterklägers dagegen gelangte erst mit erheblicher Verzögerung zum BGH, weil zuvor noch über die Kostenerstattung der Anwälte gestritten wurde. Wenige Tage bevor wiederum der Karlsruher Vorsitzende in den Ruhestand trat, hob dessen Senat die OLG-Entscheidung auf. Mittlerweile stand aber auch schon die "neue" OLG-Vorsitzende vor der Pensionierung. Ihr Senat folgte recht zügig den Karlsruher Vorgaben und entschied gegen die Telekom. Doch dieses Judikat hat der BGH nun abermals gekippt.

Neue Regeln für Kollektivklagen

Zwischenzeitlich war das KapMuG reformiert worden, um künftige Verfahren zu beschleunigen – auch durch die Erleichterung eines Vergleichsschlusses. Für das Telekom-Verfahren gilt dies jedoch nicht rückwirkend. Mittlerweile hat der Bundestag vor dem Hintergrund des Dieselskandals ein weiteres Massenverfahren eingeführt, das nicht auf Kapitalanleger beschränkt ist: die Musterfeststellungsklage. Allerdings ist absehbar, dass die EU bald ebenfalls Vorgaben für solche Kollektivklagen erlassen wird, die dann Vorrang hätten. Diese könnten unter anderem dazu führen, dass Kläger mit Erlass eines Piloturteils unmittelbar Anspruch auf Schadensersatz erhalten und ihre individuellen Rechte nicht mehr selbst durchsetzen müssen.

BGH, Beschluss vom 15.12.2020 - XI ZB 24/16

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 26. Februar 2021 (ergänzt durch Material der dpa).