Dieselskandal: Ersatzlieferung höherwertigen Nachfolgemodells kann Zuzahlung erfordern
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Der Käufer eines abgasmanipulierten Dieselfahrzeugs kann unter Umständen die Ersatzlieferung eines erheblich höherwertigen Nachfolgemodells gegen angemessene Zuzahlung verlangen. Dies gelte aber nicht, wenn die - seitens des Verkäufers zu beweisende - günstige Möglichkeit besteht, den Mangel durch Aufspielen eines Software-Updates vollständig ohne "Folgeschäden" zu beseitigen, urteilte der Bundesgerichtshof am 08.12.2021.

Diesel-Kläger lehnte Software-Update ab und verlangte Nachfolgemodell

Der Kläger erwarb im Juni 2015 von der beklagten Fahrzeughändlerin im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs einen VW-Caddy-Diesel, der mit unzulässiger Abgasmanipulationssoftware ausgestattet war. Der Fahrzeughersteller teilte dem Kläger im Dezember 2016 mit, dass für sein Fahrzeug nunmehr ein zur Beseitigung der Abschalteinrichtung entwickeltes und vom Kraftfahrtbundesamt freigegebenes Software-Update zur Verfügung stehe. Der Kläger lehnte jedoch das Aufspielen des Updates ab und verlangte stattdessen im Mai 2017 von der Beklagten die Ersatzlieferung eines mangelfreien Neufahrzeugs des Nachfolgemodells. Die Beklagte verweigerte eine Nachlieferung unter anderem mit der Begründung, dass deren Kosten im Vergleich zu dem Aufwand einer Nachbesserung durch das Software-Update unverhältnismäßig seien. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Das Berufungsgericht meinte, die Beklagte habe die Ersatzlieferung gemäß § 439 Abs. 3 BGB a.F. verweigern dürfen, weil für die Ersatzlieferung eines Nachfolgemodells die Kosten für die Umrüstung durch das Software-Update von maximal 100 Euro um mehr als das 117-fache überschritten und damit unverhältnismäßig seien. Der Kläger legte Revision ein.

BGH: Nachlieferungsanspruch mit Zuzahlung nicht ausgeschlossen

Der Bundesgerichtshof hat die Berufungsentscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Der Käufer eines mangelhaften Neufahrzeugs könne im Rahmen seiner Gewährleistungsrechte grundsätzlich auch Ersatzlieferung eines Nachfolgemodells verlangen. Soweit in einem solchen Fall das betreffende Nachfolgemodell allerdings - was der Verkäufer darzulegen und zu beweisen habe - einen erheblichen Mehrwert gegenüber dem ursprünglich erworbenen Modell aufweise, der eine Erhöhung des Listenpreises um ein Viertel oder mehr voraussetze, sei weiter zu prüfen, ob nach dem nach beiden Seiten interessengerecht auszulegenden Parteiwillen die Ersatzlieferung eines solchen Nachfolgemodells nur gegen eine angemessene Zuzahlung des Käufers als austauschbar anzusehen sei. Liege die Differenz der Listenpreise unter diesem Wert, scheide eine Obliegenheit des Käufers zu einer Zuzahlung aus. Bei einer Überschreitung des Wertes sei bezüglich einer Zuzahlung des Käufers zu beachten, dass sie weder dessen Nacherfüllungsanspruch aushöhlen dürfe noch den Verkäufer von jeglicher mit der Nacherfüllung einhergehenden wirtschaftlichen Belastung befreien solle. Daher habe der Käufer die einen erheblichen Mehrwert begründende Differenz zwischen den Listenpreisen nicht vollständig, sondern in der Regel lediglich in Höhe eines Drittels (in Ausnahmefällen bis zur Hälfte) auszugleichen.

Vergleich der Listenpreise erforderlich 

Falls der Käufer zu einer hiernach angemessenen Zuzahlung nicht bereit sein sollte, entfalle die das Nachfolgemodell erfassende Beschaffungspflicht des Verkäufers und damit auch ein hierauf gerichteter Nachlieferungsanspruch des Käufers. Etwaige weitere Gewährleistungsansprüche des Käufers blieben hiervon allerdings unberührt. Nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts könne vorliegend nicht ausgeschlossen werden, dass das vom Kläger im Rahmen seines Nachlieferungsbegehrens beanspruchte Modell der vierten Fahrzeuggeneration des VW Caddy gegenüber dem ursprünglich erworbenen Modell der dritten Generation einen erheblichen Mehrwert aufweise und ein entsprechender Nachlieferungsanspruch deshalb nur gegen eine angemessene Zuzahlung des Klägers in Betracht kommen könnte. Um dies abschließend beurteilen zu können, bedürfe es allerdings zunächst einer Feststellung der zu vergleichenden Listenpreise durch das Berufungsgericht.

Verkäufer für mögliche Unverhältnismäßigkeit beweispflichtig

Auf die von der Beklagten erhobene Einrede der relativen Unverhältnismäßigkeit nach § 439 Abs. 3 BGB a.F. komme es nur an, wenn eine Beschaffungspflicht der Beklagten hinsichtlich des Nachfolgemodells bestehe. Der Verkäufer könne eine vom Käufer verlangte Nachlieferung wegen im Vergleich zur Nachbesserung unverhältnismäßiger Kosten nur dann verweigern, wenn der betreffende Mangel durch die von ihm angebotene Nachbesserung vollständig, nachhaltig und fachgerecht beseitigt würde. Daran fehle es, falls zwar der ursprüngliche Mangel beseitigt werde, hierdurch jedoch Folgemängel hervorgerufen würden. Insofern sei zu beachten, dass nach allgemeinen Grundsätzen der Verkäufer für das Vorliegen der Voraussetzungen der von ihm erhobenen Unverhältnismäßigkeitseinrede darlegungs- und beweisbelastet sei. Vorliegend habe der Kläger im Rahmen seiner insoweit lediglich sekundären Darlegungslast hinreichend konkret auf - seiner Auffassung nach - durch das Update verursachte Folgemängel und einen verbleibenden merkantilen Minderwert verwiesen. Er habe sich dabei mangels eigener Sachkunde auch auf nur vermutete Tatsachen stützen können. Es sei deshalb Aufgabe der Beklagten, diese vom Kläger hinreichend konkret behaupteten Umstände auszuräumen. Dies gelte nicht zuletzt für die Behauptung des Klägers, mit dem Software-Update werde ein "Thermofenster" implementiert.

BGH, Urteil vom 08.12.2021 - VIII ZR 190/19

Redaktion beck-aktuell, 9. Dezember 2021.