Postzustellung: Vergessenes Datum auf Umschlag

Vergisst ein Postzusteller, auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung einzutragen, ist die tatsächliche Kenntnisnahme maßgeblich. Im Streit um die Entziehung seiner Zulassung gab der Bundesgerichtshof einem Rechtsanwalt vor dem Anwaltsgerichtshof Berlin daher eine weitere Chance.

Klage verfristet?

Einem Anwalt war wegen Vermögensverfalls die Zulassung entzogen worden. Der Bescheid vom 10.02.2016 wurde laut Zustellungsurkunde genau eine Woche später im Briefkasten seiner Kanzlei eingeworfen. Der Postbedienstete hatte allerdings entgegen § 180 Satz 3 ZPO in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG vergessen, dieses Datum auf dem Umschlag zu notieren. Krankheitsbedingt fand der Jurist das Schreiben erst am 19.02.2016, einem Freitag, und reichte die Klage am 21.03.2016, einem Montag, ein. Der AGH Berlin verwarf die Klage als unzulässig: Bei der verletzten Norm des § 180 Satz 3 ZPO handele es sich nicht um eine zwingende Formvorschrift. Soweit der BFH noch 2014 (in NJW 2014, 2524) etwas anderes entschieden habe, sei dies mit den heutigen Zustellungsvorschriften nicht mehr vereinbar. Der BGH ließ die Berufung in Übereinstimmung mit der Begründung des AGH 2019 (in NJOZ 2019, 847) zunächst nicht zu. Nachdem das BVerfG (in NVwZ 2020, 1661) gerügt hatte, dass die inhaltlichen Fragen im Zulassungsverfahren abgearbeitet worden waren, sah sich der Anwaltssenat die Sache näher an und kam nunmehr zu einem anderen Ergebnis als die Berliner Anwaltsrichter.

Tatsächliche Kenntnisnahme hier entscheidend

Die Karlsruher Richter stellten klar, dass die Monatsfrist bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen war, da durch das fehlende Datum auf dem Umschlag zwingende Zustellungsvorschriften verletzt worden waren. Entsprechend den Heilungsvorschriften der § 189 ZPO und § 8 VwZG sei das Schriftstück erst mit tatsächlicher Kenntnisnahme zugegangen. Der Anwaltssenat stimmte dem BFH darin zu, dass § 180 Abs. 3 ZPO auch weiterhin zwingend einzuhalten ist. Der Gesetzgeber habe bei der Neuregelung der Zustellungsvorschriften 2002 an der körperlichen Übergabe als Hauptform der Übermittlung festgehalten. Hierbei sei dem Empfänger klar, wann genau er das Schriftstück erhalten habe. Die Verpflichtung, das Datum auf dem Umschlag zu notieren, kompensiere bei der Ersatzzustellung den durch das Fehlen einer direkten Übergabe entstehenden Nachteil.

Michael Dollmann, Mitglied der NJW-Redaktion, 29. August 2022.