Pflichten des Rechtsmittelgerichts bei Zweifeln an anwaltlicher Versicherung

Schenkt ein Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben, muss es die Partei grundsätzlich darauf hinweisen und ihr Gelegenheit geben, weitere Beweise anzutreten. Ein solcher Hinweis ist laut Bundesgerichtshof nur dann entbehrlich, wenn die anwaltliche Versicherung zugleich ein Angebot der Vernehmung des Anwalts als Zeugen enthält. Dann sei dieser Beweis zu erheben.

Anwalt reicht Versicherung zur Glaubhaftmachung ein

Zwei Kläger, ein Rechtsanwalt und sein Mandant, machten in einem Schutzrechtsprozess beim LG Konstanz erfolglos Ansprüche im Zusammenhang mit einem Medizinprodukt geltend. Daraufhin legte der Jurist Berufung ein. Auf seinen Antrag verlängerte das OLG Karlsruhe die Rechtsmittelbegründungsfrist bis 05.11.2020. Das über das besondere elektronische Anwaltspostfach versandte Dokument vom 05.11.2020 ging dort am 06.11.2020 um 0.00 Uhr ein. Es enthielt gegen Ende nur noch stichwortartige Ausführungen. Nachdem das OLG auf die versäumte Frist hingewiesen hatte, beantragten die Kläger die Wiedereinsetzung. Sie teilten mit, dass der Anwalt am 05.11.2020 an einer Magen-Darm-Erkrankung gelitten habe. Diese habe ihn den ganzen Tag weitgehend handlungsunfähig gemacht. An der Begründung habe er lediglich phasenweise mit Schmerzmitteln arbeiten können, einen Arzt hätte er erst tags darauf aufsuchen können. Laut einer ärztlichen Bescheinigung war er vom 05. bis 07.11.2020 arbeitsunfähig. Der Bevollmächtigte versicherte die Angaben anwaltlich.

OLG verneint Hinweispflicht

Das OLG Karlsruhe wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung. Die versäumte Frist hätten beide selbst verschuldet, denn der Vortrag zur "plötzlichen Erkrankung" sei nicht glaubhaft. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei bereits nicht aussagekräftig und ersetze kein ärztliches Attest. Eine anwaltliche Versicherung sei unzureichend. Eines richterlichen Hinweises, ein ärztliches Attest nachzureichen, hätte es nicht bedurft. Die Rechtsbeschwerde beim BGH hatte Erfolg.

Gelegenheit zum weiteren Beweisantritt verwehrt

Die Karlsruher Richter verwiesen die Sache an das OLG zurück. Aus ihrer Sicht verletzt die angefochtene Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Das OLG habe das anwaltlich versicherte Wiedereinsetzungsvorbringen zur plötzlichen Erkrankung völlig zu Unrecht als nicht glaubhaft erachtet, ohne die in diesem Fall grundsätzlich gebotenen Maßnahmen zur weiteren Aufklärung zu ergreifen, monierte der VIII. Zivilsenat. Es wäre verpflichtet gewesen, Hinweis zu erteilen über die (bis dahin fehlende) Vorlage eines ärztlichen Attests hinsichtlich der behaupteten Erkrankung. Es sei nicht auszuschließen, dass ein Attest beizubringen gewesen wäre. Ein Hinweis wäre nur dann entbehrlich gewesen, wenn in der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot der Kläger auf Vernehmung des Anwalts als Zeuge beziehungsweise Partei zu den anwaltlich versicherten Tatsachen läge. Das OLG müsse das ergänzende Vorbringen der Kläger (kritisch) würdigen und prüfen, ob in der Vorlage der neuen eidesstattlichen Versicherungen ein Vernehmungsangebot des Anwalts und seiner Frau liege.

BGH, Beschluss vom 02.08.2022 - VIII ZB 3/21

Redaktion beck-aktuell, 9. September 2022.