Pauschalierungsklausel bei Schäden durch Kartellabsprachen rechtens

Ein an einem Kartell beteiligter Auftragnehmer wird nach dem Bundesgerichtshof durch eine insbesondere von öffentlichen Auftraggebern vielfach verwendete Schadenspauschalierungsklausel nicht entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Der Schadensersatzanspruch eines Kartellgeschädigten könne durch eine Klausel im Kaufvertrag grundsätzlich in Höhe eines 15% der Abrechnungssumme nicht übersteigenden Betrags pauschaliert werden.

Berliner Verkehrsbetriebe erwarben Weichen und Weichenteile

Kläger im konkreten Fall sind die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die Beklagte befasst sich mit der Herstellung von Gleisoberbaumaterialien. Die BVG erwarb in den Jahren 2002 und 2003 von der Beklagten in sieben Fällen Weichen und Weichenteile. Den Verträgen lagen "Zusätzliche Vertragsbedingungen (ZVB)" der BVG zugrunde, die in Nr. 14 folgende Klausel enthielten: "Wenn der Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung […] darstellt, hat er 5 v. H. der Abrechnungssumme als pauschalierten Schadensersatz an den Auftraggeber zu zahlen, es sei denn, dass ein Schaden in anderer Höhe nachgewiesen wird."

Aufteilung von "Altkunden" oder "Stammkunden" unter Teilnehmern

Die BVG verlangt nunmehr Schadensersatz in dieser Höhe, weil Hersteller und Händler von Schienen, Weichen und Schwellen spätestens seit 2001 bis zur Aufdeckung des Kartells im Mai 2011 Preis-, Quoten- und Kundenschutzabsprachen praktizierten, an denen auch die Beklagte beteiligt war. Die Absprachen beruhten maßgeblich darauf, dass den einzelnen Unternehmen bestimmte "Altkunden" oder "Stammkunden" zugeordnet waren und diese Zuordnung von den Kartellteilnehmern grundsätzlich respektiert wurde. Hierzu verzichteten die anderen Kartellteilnehmer auf die Abgabe von Angeboten oder reichten diese erst nach Ablauf der Angebotsfrist oder zu überhöhten Preisen ein, so dass der Auftrag dem vorbestimmten Unternehmen zufallen konnte. Die Klage war in den Vorinstanzen im Wesentlichen erfolgreich. Mit der vom BGH zugelassenen Revision hat die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgt.

Berufungsgericht muss erneut entscheiden

Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Nach der Entscheidung des Kartellsenats ist das Berufungsgericht zwar zutreffend von der Wirksamkeit der vertraglich vereinbarten Schadenspauschalierungsklausel ausgegangen. Rechtsfehlerhaft hat es aber angenommen, der Beklagten sei der Nachweis nicht gelungen, dass der BVG ein geringerer Schaden als der Pauschalbetrag oder überhaupt kein Schaden entstanden ist.

Branchentypischer Durchschnittsschaden als Maßstab

Eine Schadenspauschalierungsklausel sei außerhalb des unternehmerischen Geschäftsverkehrs an den Maßgaben der Vorschrift des § 309 Nr. 5 BGB zu messen. Danach sei in Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Vereinbarung eines pauschalierten Anspruchs des Verwenders auf Schadensersatz unwirksam, wenn die Pauschale den in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden übersteige (Buchstabe a) oder dem anderen Vertragsteil nicht ausdrücklich der Nachweis gestattet werde, ein Schaden sei überhaupt nicht entstanden oder wesentlich niedriger als die Pauschale (Buchstabe b). Dabei dürfe die Pauschale der Höhe nach den normalerweise eintretenden branchentypischen Durchschnittsschaden nicht übersteigen. Im hier maßgeblichen unternehmerischen Geschäftsverkehr sei diese Vorschrift zwar nicht anwendbar. Jedoch seien ihre Wertungen bei der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB grundsätzlich zu berücksichtigen. Im Rahmen der gebotenen umfassenden Interessenabwägung müsse darüber hinaus den Besonderheiten kartellzivilrechtlicher Schadensersatzansprüche Rechnung getragen werden.

Hypothetische Wettbewerbspreis nur aufgrund von Indizien zu ermitteln

Die Bezifferung eines Schadens, der aus einem Verstoß gegen das Kartellverbot resultiert, sei regelmäßig mit erheblichen tatsächlichen Schwierigkeiten und großem sachlichen und finanziellen Aufwand verbunden. In besonderem Maße gelte dies für den praktisch bedeutsamsten Fall des durch Kartellabsprachen verursachten Preishöhenschadens, weil dieser Schaden aus einem Vergleich des vertraglich vereinbarten Preises mit dem hypothetischen Preis zu ermitteln sei, der sich ohne Kartellabsprache ergeben hätte. Dieser hypothetische Wettbewerbspreis lasse sich typischerweise nur aufgrund von Indizien ermitteln und könne nur näherungsweise bestimmt werden.

Redlicher Klauselverwender mit Informationsdefizit

Insofern komme dem mit der Verwendung von Pauschalierungsklauseln verfolgten und in § 309 Nr. 5 BGB grundsätzlich anerkannten Zweck besondere Bedeutung zu, die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen durch Verringerung von Zeitaufwand und Kosten zu rationalisieren. Das Informationsdefizit des redlichen Klauselverwenders, der für den Fall einer Kartellabsprache mit Hilfe der Pauschalierungsklausel eine effiziente Kompensation des aus dem vom unredlichen Vertragspartner verursachten Vermögensschadens anstrebe, unterscheide Kartellschadensersatzfälle von solchen, in denen mit der Pauschalierungsklausel ein Schaden abgegolten werden soll, der aus der Verletzung einer vertragstypischen Pflicht resultiere und bei dem sich der Geschädigte zur Bemessung eines branchentypischen Durchschnittsschadens auf entsprechende Erfahrungswerte stützen könne.

Auftraggeber kann EU-Studie heranziehen

Der Auftraggeber dürfe sich daher auf verfügbare ökonomisch fundierte allgemeine Analysen kartellbedingter Preisaufschläge wie eine von der BVG in den Rechtsstreit eingeführte, von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie stützen, nach denen sich durch eine Kartellabsprache verursachte Preiserhöhungen im arithmetischen und geometrischen Mittel jedenfalls auf 15%, bezogen auf den tatsächlich gezahlten Kaufpreis, belaufen. Dem stehe nicht entgegen, dass es sich um einen bloßen Durchschnitts- oder Mittelwert handele, der im Einzelfall beträchtlich über- wie unterschritten werden könne, und dass alle empirischen Untersuchungen aufgrund der Komplexität des Preisbildungsmechanismus, der Vielfalt der Kartellabsprachen, der erheblichen Streubreite der zu beobachtenden Preisaufschläge und der begrenzten Verfügbarkeit hinreichend vergleichbarer Datensätze allenfalls Näherungswerte abbilden und im Detail methodischen Zweifeln ausgesetzt sein könnten.

Schädiger muss Nachweis möglicher Überkompensation führen

Eine pauschalierte Abschätzung der Differenz zwischen Angebotspreis und hypothetischem Marktpreis sei dadurch zwar zwangsläufig sowohl mit der Gefahr einer Über- wie mit der Gefahr einer Unterkompensation des tatsächlich eingetretenen Schadens verbunden. Dies bedeute jedoch nicht, dass der Auftraggeber eine mögliche Überkompensation schon bei der Pauschalierung schlechthin oder zumindest weitgehend ausschließen müsse. Dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot werde vielmehr hinreichend Rechnung getragen, wenn eine Pauschalierungsklausel dem an einer Kartellabsprache beteiligten Schädiger den Nachweis vorbehalte, dass dem Auftraggeber ein geringerer Schaden entstanden sei. Andernfalls würden die Schwierigkeiten und Unsicherheiten bei der Ermittlung des hypothetischen Marktpreises einseitig zu Lasten des Auftraggebers berücksichtigt. Dies wäre unangemessen, weil der Schädiger als Kartellbeteiligter an einer vorsätzlichen Verfälschung des wettbewerblichen Preisbildungsmechanismus mitgewirkt habe und damit auch für die Schwierigkeit der Ermittlung des hypothetischen Marktpreises verantwortlich sei.

Risiko darf unter bestimmten Umständen Vertragspartner überbürdet werden

Eine Klausel, die das Risiko der Aufklärung des tatsächlich entstandenen Schadens dem Vertragspartner überbürde, stehe jedenfalls dann mit den sich aus § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ergebenden Anforderungen in Einklang, wenn die pauschalierte Schadenshöhe nach den bei Vertragsschluss zur Verfügung stehenden Erkenntnissen gleichermaßen mit der Gefahr einer Über- wie einer Unterkompensation des Schadens verbunden sei und es beiden Vertragsparteien überlassen bleibe, jeweils einen ihr günstigeren hypothetischen Marktpreis und damit einen fehlenden oder geringeren oder auch einen höheren Schaden nachzuweisen.

Weitere Untersuchungen zum entstandenen Schaden erforderlich

Danach hätte das Berufungsgericht aber dem Vorbringen der Beklagten nachgehen müssen, der BVG sei kein oder nur ein geringerer Schaden entstanden. Nur wenn sich ein solches Vorbringen nicht beweisen lasse, dürfe dem Geschädigten der vereinbarte Pauschalbetrag als Schadensersatz zuerkannt werden.

BGH, Urteil vom 10.02.2021 - KZR 63/18

Redaktion beck-aktuell, 30. April 2021.