Online-Matratzenverkäufer wollte geöffnete Matratze nicht zurücknehmen
Die Beklagte ist eine Online-Händlerin, die unter anderem Matratzen vertreibt. Der Kläger bestellte zu privaten Zwecken über die Website der Beklagten eine Matratze, die ihm mit einer versiegelten Schutzfolie geliefert wurde. In der Rechnung der Beklagten wurde auf dort abgedruckte Allgemeine Geschäftsbedingungen hingewiesen, in denen auch eine "Widerrufsbelehrung für Verbraucher" enthalten ist. Dort ist unter anderem ausgeführt, dass das Widerrufsrecht bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, vorzeitig erlischt, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde. Nach Erhalt der Matratze entfernte der Kläger die Schutzfolie. Später bat er die Beklagte um die Vereinbarung eines Termins zum Rücktransport, da er die Matratze zurücksenden wolle. Da die Beklagte dies nicht veranlasste, gab er den Transport selbst in Auftrag.
Vorinstanzen und EuGH: Matratze kein vom Widerrufsrecht ausgenommener Hygieneartikel
Die auf Erstattung des Kaufpreises und der Transportkosten gerichtete Klage war in den Vorinstanzen erfolgreich. Das Berufungsgericht meinte, dass es sich bei einer Matratze nicht um einen Hygieneartikel im Sinne des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB handele, sodass der Widerruf auch nach dem Entfernen der Schutzfolie durch den Kläger nicht ausgeschlossen gewesen sei. Die Beklagte legte Revision ein. Der BGH bat daraufhin den Gerichtshof der Europäischen Union um Klärung, ob Matratzen zu den in Art. 16 e) der Verbraucherrechterichtlinie genannten Waren gehören, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind. Dies verneinte der Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 27.03.2019 (BeckRS 2019, 4242).
BGH: Verbraucher darf ausgepackte Matratze zurückgeben
Der BGH hat unter Bezugnahme auf die Vorabentscheidung des EuGH für den konkreten Fall entschieden, dass es sich bei dem Online-Kauf einer Matratze durch einen Verbraucher nicht um einen "Vertrag zur Lieferung versiegelter Waren" handelt, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene zur Rückgabe ungeeignet sind, wenn die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wird (§ 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB). Dem Verbraucher stehe daher auch dann das Recht zu, seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung gemäß § 312g Abs. 1 BGB zu widerrufen, wenn er die Schutzfolie entfernt hat. Die deutsche Ausnahmevorschrift des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB entspreche der europarechtlichen Vorschrift des Art. 16 e) der Verbraucherrechterichtlinie.
Ausnahme vom Widerrufsrecht nur bei Verlust der Verkehrsfähigkeit
Eine Ausnahme von dem bei Fernabsatzverträgen Verbrauchern grundsätzlich eingeräumten Widerrufsrecht sei vor allem mit Blick auf dessen Sinn und Zweck zu verneinen. Das Widerrufsrecht solle den Verbraucher in der besonderen Situation im Fernabsatzhandel schützen, in der er keine Möglichkeit habe, das Erzeugnis vor Abschluss des Vertrages zu sehen und seine Eigenschaften zur Kenntnis zu nehmen. Dieser Nachteil solle mit dem Widerrufsrecht ausgeglichen werden, das dem Verbraucher eine angemessene Bedenkzeit einräume, in der er die Möglichkeit habe, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren. Im Hinblick hierauf greife die Ausnahmeregelung nur dann ein, wenn nach der Entfernung der Versiegelung der Verpackung die darin enthaltene Ware aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene endgültig nicht mehr verkehrsfähig wäre, weil der Unternehmer Maßnahmen, die sie unter Wahrung des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene wieder verkehrsfähig machten, nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten ergreifen könnte.
Matratze mit Kleidung vergleichbar
Bei Anlegung dieses Maßstabs falle eine Matratze, deren Schutzfolie der Verbraucher entfernt habe, nicht unter den Ausnahmetatbestand. Eine Matratze könne im Hinblick auf das Widerrufsrecht mit einem Kleidungsstück gleichgesetzt werden, das ebenfalls mit dem menschlichen Körper direkt in Kontakt komme. Es sei davon auszugehen, dass Unternehmer bezüglich beider Waren in der Lage seien, diese nach Rücksendung mittels einer Behandlung wie einer Reinigung oder einer Desinfektion für eine Wiederverwendung durch einen Dritten und damit für ein erneutes Inverkehrbringen geeignet zu machen. Da das Berufungsgericht die Ankündigung der Rücksendung der Matratze und die Bitte um Übernahme der Transportkosten rechtsfehlerfrei als Widerrufserklärung ausgelegt habe, müsse die beklagte Online-Händlerin den Kaufpreis und die verauslagten Transportkosten an den Kläger erstatten.