Notarhaftung: Bindungswirkung eines Urteils aus dem Vorprozess

Die Rechtskraft eines Urteils, durch das eine Schadensersatzklage gegen einen Notar nur wegen des Bestehens anderweitiger Ersatzmöglichkeiten als "derzeit unbegründet" abgewiesen wird, erstreckt sich auch auf die in den Gründen festgestellte Amtspflichtverletzung. Im Folgeprozess kann die Klage dann laut Bundesgerichtshof nicht mit der Begründung abgewiesen werden, der Anspruch habe bereits dem Grunde nach nicht bestanden.

Schadensersatzklage war als "derzeit unbegründet" abgewiesen worden

Ein Erbe verklagte einen Nachlassverwalter über das Vermögen eines verstorbenen Notars unter anderem auf Schadensersatz von 21.400 Euro wegen notarieller Amtspflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem Erwerb zweier Eigentumswohnungen. Im Februar 2006 hatte der Jurist ein Kaufangebot der inzwischen verstorbenen Erblasserin an die Verkäuferin beurkundet. Die Urkunde enthielt die Erklärung, einen Vertragsentwurf 14 Tage vor der Beurkundung erhalten zu haben. Das Geschäft kam im April 2006 zustande. Die Erblasserin finanzierte den Kauf über ein Darlehen, stellte die Ratenzahlungen jedoch im August 2009 ein. In einem Vorprozess warf sie dem Notar vor, er habe seine Amtspflicht verletzt. Die ebenfalls auf Schadensersatz in Anspruch genommene Verkäuferseite habe unredliche Geschäfte betrieben. Ihr sei ein Schaden von 21.400 Euro entstanden. Die Klage wurde mit Blick auf die aus Säumnis zunächst erfolgreiche Klage gegen den Geschäftsführer der Verkäuferin als "derzeit unbegründet" abgewiesen, wobei das Kammergericht eine Amtspflichtverletzung in seiner Begründung bejahte.

Revision zum Teil erfolgreich

Während das LG Berlin den Beklagten im Folgeprozess zur Zahlung von 21.400 Euro verurteilte, scheiterte die Klage beim Kammergericht, da der Anspruch bereits dem Grunde nach nicht bestanden habe. Die Rechtskraft eines Urteils, durch das die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen worden sei, beschränke sich darauf, dass der Kläger bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess keinen zur Zahlung fälligen Anspruch gehabt habe. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen wie Amtspflichtverletzung, Kausalität und Schaden seien nicht tenoriert worden und erwüchsen daher auch nicht in Rechtskraft. Die Revision beim BGH hatte vollen Erfolg soweit es den im ersten Verfahren gegenständlichen Schaden betraf, und führte ansonsten zur Zurückverweisung.

Umfang der Rechtskraft verkannt

Aus Sicht des III. Zivilsenats hat der Erbe einen Anspruch auf Zahlung von 21.400 Euro Schadensersatz. Das Kammergericht habe den Umfang der Rechtskraft des Urteils aus dem Vorprozess verkannt. Die auf § 19 Abs. 1 Satz 1 BNotO gestützte Klage sei nur wegen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit (vgl. § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB) nach § 19 Abs. 1 Satz 2 BNotO als derzeit unbegründet abgewiesen worden. Diese vorläufige Klageabweisung dürfe nur erfolgen, wenn zugleich die übrigen Voraussetzungen eines Anspruchs wegen Verletzung der Amtspflicht – wie hier geschehen – bejaht worden seien. Daher steht aus Sicht des BGH rechtskräftig fest, dass zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung im Vorprozess die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren. Das Zweitgericht dürfe dann allein darüber entscheiden, ob die im ersten Prozess noch fehlenden Voraussetzungen der Begründetheit des Anspruchs inzwischen gegeben seien. Durch die spätere Aufhebung der Verurteilung des Geschäftsführers sei diese anderweitige Ersatzmöglichkeit mittlerweile weggefallen.

BGH, Urteil vom 09.06.2022 - III ZR 24/21

Redaktion beck-aktuell, 26. Juli 2022.