Nachbarn müssen Pferdehaltung in baurechtswidrigem Offenstall nicht dulden

Nachbarn müssen keine Pferdehaltung in einem Offenstall in unmittelbarer Nähe zu ihrem Einfamilienhaus dulden, wenn der Stall ohne Baugenehmigung und unter Verstoß gegen das öffentlich-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme errichtet wurde. Dies hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 27.11.2020 entschieden und einen Unterlassungsanspruch bejaht.

Offenstall ohne Baugenehmigung

Die Parteien sind Nachbarn. Die Beklagte zu 1 ist Inhaberin eines Pferdehofs. Sie errichtete ohne Baugenehmigung auf ihrem im Außenbereich gelegenen Grundstück in einer Entfernung von etwa 12 Metern vom Einfamilienhaus der Klägerin einen Offenstall für Pferde und stellte darin Pferde ein. Die Beklagte zu 2, deren Geschäftsführerin die Beklagte zu 1 ist, betreibt auf dem Grundstück eine Reitschule. Die Bauaufsichtsbehörde lehnte im September 2013 die Erteilung einer Baugenehmigung ab. Die von der Beklagten zu 1 gegen diese Ablehnung erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht 2016 mit der Begründung ab, der Offenstall lasse die gebotene Rücksichtnahme auf das Wohnhaus der jetzigen Klägerin vermissen. Hierbei falle insbesondere ins Gewicht, dass sich der Stall unmittelbar an der Grenze zum Grundstück der jetzigen Klägerin in einer Entfernung von etwa 12,5 Metern zu deren Ruheräumen befinde und die Boxen mit dem Auslauf zum Wohnhaus ausgerichtet seien. Das VG-Urteil ist rechtskräftig.

OLG verurteilte nur zu Einhaltung der TA Lärm-Werte

Nun geht die Klägerin gegen den Offenstall vor. Das Landgericht verurteilte die Beklagten, die Haltung von Pferden in dem Offenstall zu unterlassen. Auf Berufung der Beklagten wies das Oberlandesgericht die Klage ab, soweit sie sich gegen die Beklagte zu 2 richtet. Hinsichtlich der Beklagten zu 1 beschränkte es die Verurteilung darauf, dass bei der Haltung von Pferden in dem Offenstall die Immissionsrichtwerte nach der jeweils geltenden TA Lärm nicht überschritten werden dürften.

BGH: Anspruch auf Unterlassung der Pferdehaltung in Offenstall

Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und das LG-Urteil im Verhältnis zur Beklagten zu 1 in der Sache wiederhergestellt. Hinsichtlich der Beklagten zu 2 hat er die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Klägerin habe aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 analog in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB und dem öffentlich-rechtlichen Gebot der Rücksichtnahme einen Anspruch darauf, dass die Beklagte zu 1 die Haltung von Pferden in dem Offenstall auf ihrem Grundstück unterlässt. Die Verletzung nachbarschützender Vorschriften des öffentlichen Baurechts könne einen solchen verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch des Nachbarn begründen. Zu solchen Normen zähle das Gebot der Rücksichtnahme.

Öffentlich-rechtliches Gebot der Rücksichtnahme verletzt

Dass die Errichtung und die zweckgemäße Nutzung des Offenstalls im Verhältnis zu der Klägerin gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstießen, stehe aufgrund des rechtskräftigen Urteils des VG mit Bindungswirkung für den Zivilprozess fest. Damit stelle die Pferdehaltung in dem Stall zivilrechtlich im Verhältnis zur Klägerin einen Verstoß gegen ein Schutzgesetz im Sinn von § 823 Abs. 2 BGB dar, sodass diese einen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog auf Unterlassung dieser Nutzung des Stalls hat. Für das Vorliegen der für den Unterlassungsanspruch erforderlichen Wiederholungsgefahr spreche aufgrund der bereits erfolgten rechtswidrigen Nutzung des Stalls eine tatsächliche Vermutung, die nach rechtsfehlerfreier Würdigung des Berufungsgerichts selbst dann nicht widerlegt wäre, wenn die Beklagte zu 1 seit 2016 keine Pferde mehr in den Stall eingestellt haben sollte.

Anspruch auf Unterlassung der Einstellung von Pferden gegen Reitschulbetreiberin möglich

Hinsichtlich der Beklagten zu 2 konnte das Urteil laut BGH ebenfalls keinen Bestand haben, da die Klägerin gegen diese aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 906 BGB einen Anspruch darauf haben könne, keine Pferde in den Offenstall einzustellen. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin weder anhand des Aussehens der Pferde noch - aufgrund der Personenidentität auf Beklagtenseite - anhand der äußeren Abläufe beurteilen und darlegen oder gar beweisen könne, welche Pferde jeweils im Eigentum der Beklagten zu 1 oder der Beklagten zu 2 stünden oder gestanden hätten, treffe die Beklagte zu 2 eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Behauptung der Klägerin, sie (die Beklagte zu 2) habe Pferde in den Offenstall eingestellt. Dieser habe sie bislang nicht genügt. Sie werde in dem erneuten Verfahren vor dem Berufungsgericht zunächst vorzutragen haben, welche Pferde in dem von der Klägerin behaupteten Zeitraum der Nutzung des Offenstalls in ihrem Eigentum gestanden hätten und wo diese untergestellt gewesen seien.

BGH, Urteil vom 27.11.2020 - V ZR 121/19

Redaktion beck-aktuell, 27. November 2020.