Nachbarliche Duldungspflicht bei bestandskräftiger Baugenehmigung

Liegt eine bestandskräftige Baugenehmigung vor, können Nachbarn zivilrechtliche Unterlassungsansprüche nicht auf die Verletzung nachbarschützender Vorschriften des öffentlichen Rechts stützten. Dies hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 21.01.2022 entschieden. Die Legalisierungswirkung schließe dies aus. Eine unanfechtbare Baugenehmigung dürfe insoweit nicht durch den Umweg über das Zivilrecht unterlaufen werden.

Bestandskräftige Baugenehmigung

Die Eigentümer zweier Grundstücke verklagten einen benachbarten Landwirt, jegliche zum Betrieb seines landwirtschaftlichen Hofes gehörende Tätigkeit auf seinen drei Grundstücken zu unterlassen. Das Gehöft lag zum Großteil in einem nicht beplanten Innenbereich mit Dorfcharakter im Sinne der Baunutzungsverordnung (BauNVO). Das angrenzende Areal wurde durch einen Bebauungsplan aus 1979 als allgemeines Wohngebiet ausgewiesen. Auf dem Hof stand eine Getreideübergabehalle, die in das Plangebiet hinübergebaut wurde. Die dem Bauern dafür 2007 erteilte Baugenehmigung war bestandskräftig. Sie sah eine Befreiung von den Vorschriften des Bebauungsplans (nur) hinsichtlich der überbaubaren Fläche vor; Lärmgrenzwerte waren als Auflage einzuhalten. Die Halle war mit größeren Fahrzeugen nur über einen Wiesenweg sowie eine Wendefläche zu erreichen, die beide an das nachbarliche Anwesen angrenzten. Das LG Ulm wies die Klage ab. Das OLG Stuttgart meinte jedoch, sie hätten einen "quasinegatorischen" Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB aufgrund einer Verletzung ihres Anspruchs auf Erhaltung des im Bebauungsplan festgesetzten Gebietscharakters (Gebietserhaltungsanspruch). Die Revision der Beklagten beim BGH hatte vorerst Erfolg (Az.: V ZR 76/20).

Baugenehmigung ist klärungsbedürftig

Den Ausführungen des OLG stimmte der V. Zivilsenat im Ergebnis nicht zu. Falsch sei die Annahme, die dem Beklagten erteilte bestandskräftige Baugenehmigung stehe dem Unterlassungsanspruch nicht entgegen, weil eine Befreiung nur hinsichtlich der überbaubaren Fläche erteilt worden sei, nicht aber hinsichtlich sonstiger Bindungen des Bebauungsplans. Der quasinegatorische Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB komme nicht in Betracht, weil die bestandskräftige Baugenehmigung – soweit die Verletzung darin geprüfter öffentlich-rechtlicher Vorschriften behauptet werde – eine Legalisierungswirkung entfalte. Stehe durch Verwaltungsakt fest, dass nicht gegen nachbarschützende Normen des öffentlichen Rechts verstoßen wurde, seien hieran auch die Zivilgerichte gebunden. Ob die Baugenehmigung auch das Abstellen von landwirtschaftlichen Fahrzeugen und Anhängern und die Lagerung betriebsbezogener Güter außerhalb der Halle mit umfasse, habe das OLG nicht geklärt, so die Kritik der Karlsruher Richter. Der BGH verwies die Sache daher an das OLG zurück. Es müsse dies durch Auslegung der Baugenehmigung unter Einbeziehung des Bauantrages und sonstiger relevanter Unterlagen ermitteln.

BGH, Urteil vom 21.01.2022 - V ZR 76/20

Redaktion beck-aktuell, 27. April 2022.