Mahnung nach Fälligkeit bei angekündigter Verspätung unnötig

Erklärt der Schuldner noch vor Fälligkeit, dass er nicht rechtzeitig wird leisten können, setzt der Eintritt des Verzugs keine Mahnung voraus. Laut Bundesgerichtshof würde dies eine reine Förmelei bedeuten, da der Schuldner der Mahnung ohnehin nicht Folge leisten kann. Verringere ein Eingreifen des Gläubigers einen höheren Verzögerungsschaden, so könne dieser die Kosten der Maßnahme ersetzt verlangen.

Cockpitmodulherstellerin lässt dringende Teile per Luftfracht befördern

Ein Transportversicherer forderte von einem Logistikunternehmen Schadensersatz aus übergegangenem Recht wegen eines Verzögerungsschadens in Höhe von 12.600 USD. Dessen Versicherungsnehmerin rüstete Fahrzeuge, die ein Automobilhersteller in Mexiko produzierte, mit Cockpitmodulen aus. Die Versicherte hatte mit der Logistikerin einen Rahmenvertrag geschlossen. Danach sollte sie ab dem 01.04.2016 Produktionsteile aus dem europäischen Ausland über Land nach Bremen transportieren, dort in Container verpacken und nach Mexiko verschiffen. Wegen eines Maschinenschadens an einem Containerschiff konnte die Ware jedoch im Juni 2017 nicht verladen werden. Mit E-Mail vom 30.06.2017 bot der Logistikbetrieb ein anderes Schiff an, das eine Woche später loslegen sollte. Am 06.07.2017 kam die Nachricht, dass ein weiteres Schiff - erneut mit einwöchiger Verspätung - abfahren sollte. Noch am selben Tag forderte die Auftraggeberin die Beklagte zweimal vergeblich per E-Mail auf, frühere Optionen zu prüfen, um einen Produktionsstillstand zu verhindern. Am 10.07.2017 weigerte diese sich, am dringendsten benötigte Teile per Luftfracht zu versenden. Daraufhin beauftragte die Herstellerin eine Spedition, die ab dem 20.07.2017 eine Luftbeförderung für 12.876,03 USD durchführte. Die Klägerin zahlte ihr diesen Betrag abzüglich der ersparten Seebeförderungskosten von rund 276,03 USD und eines Selbstbehalts in Höhe von 5.000 USD.

OLG bejaht Schadensersatzanspruch – aber nicht wegen Verzugs

Sowohl das LG Hamburg (überwiegend) als auch das dortige OLG bejahten den wegen der Aufwendungen ihrer Versicherten für den Lufttransport geltend gemachten Schadensersatzanspruch. Dieser ergebe sich aber nicht aus Verzugsgründen. Zwar seien die beiden E-Mails vom 06.07.2017 Mahnungen, weil die Versicherte deutlich gemacht habe, sie erwarte eine Erfüllung. Vor Fälligkeit lösten diese jedoch keinen Verzug aus. Eine Mahnung nach Fälligkeit sei auch nicht entbehrlich gewesen. Es liege keine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung nach § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB vor, weil die Beklagte noch vor Fälligkeit ablehnend geantwortet habe. Der Schadensersatzanspruch folge jedoch aus § 280 Abs. 1 BGB. Dagegen wehrte sich die Beklagte mit der Revision – ohne Erfolg.

Mahnung hier "reine Förmelei"

Der I. Zivilsenat gab dem OLG im Ergebnis Recht. Zwar habe sich die Beklagte mit ihrer Leistung in Verzug befunden. Einer Mahnung der Versicherten nach Fälligkeit habe es jedoch deshalb nicht bedurft, da nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt war. Erkläre der Schuldner, wie hier, noch vor Fälligkeit, dass er nicht rechtzeitig leisten könne, sei es reine Förmelei, den Eintritt des Verzugs von einer Mahnung des Gläubigers nach Fälligkeit abhängig zu machen, der der Schuldner seinen Erklärungen zufolge ohnehin nicht Folge leisten könne. Zudem stellten die von der Versicherten aufgewandten Transportkosten einen von der Beklagten zu erstattenden Verzögerungsschaden dar.

BGH, Urteil vom 20.04.2023 - I ZR 140/22

Redaktion beck-aktuell, 29. Juni 2023.