Lebensgefährliche Verletzung – Rasierklinge

Nutzt man eine ausgebaute Rasierklinge aus einem Einwegrasierer, um einen anderen damit zu verletzen, ist nicht unbedingt eine lebensgefährdende Behandlung anzunehmen. Der Strafrichter muss dem Bundesgerichtshof zufolge genau beschreiben, wie die Klinge beschaffen ist und wie sie eingesetzt worden ist, um eine Lebensgefährdung zu begründen.

"Abschtschjak" veruntreut

Ein Gefangener einer bayerischen Justizvollzugsanstalt wurde von russischen Mitinsassen mit der Verwaltung der gemeinsamen Tabakressourcen (Abschtschjak) beauftragt. In der Haft diente der Tabak als Geldersatz. Innerhalb eines Monats "verschwanden" alle zwölf Packungen, so dass er die Zwangskasse abgeben musste. Der Drogenabhängige stritt sich mit dem neuen Verwalter und griff ihn mit einer ausgebauten Klinge eines Einwegrasierers Richtung Gesicht und Hals an. Sein Gegner konnte den Angriff abwehren und erlitt nur eine oberflächliche Hautritzung am kleinen Finger. Das Landgericht Landshut verurteilte den Angreifer wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung eines weiteren Urteils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten und erhielt seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufrecht. Der Angeklagte erhob die Sachrüge zum Bundesgerichtshof - mit Erfolg.

Lebensgefährdung mit Rasierklinge?

Der 1. Strafsenat hob das Urteil auf und verwies die Sache zurück, weil die Feststellungen des Landgerichts keine Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB trügen: Weil die Rasierklinge eines Einwegrasierers nur wenige Millimeter breit sei, vermöge sie es nicht per se, ein Leben zu gefährden. Es drängt sich den Karlsruher Richtern zufolge die Frage auf, wie eine solche Klinge - zwischen den Fingern gehalten - überhaupt geeignet sein solle, über eine Hautritzung hinaus eine das Leben gefährdende Behandlung zu verursachen. Sie haben deshalb eine ganz konkrete Beschreibung gefordert, wie die eingesetzte Rasierklinge beschaffen war und wie sie bei dem Angriff eingesetzt wurde, um eine Lebensgefährdung zu erreichen.

Weitere Mängel

Der Strafsenat konnte nicht ausschließen, dass die unzureichenden Feststellungen zur Rasierklinge auch Einfluss auf die Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB - die Nutzung eines gefährlichen Werkzeugs zur Körperverletzung gehabt haben. Die Klinge müsse nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach Art ihrer Benutzung geeignet gewesen sein, eine erhebliche Verletzung zu verursachen. Weiter ließ sich dem Bundesgerichtshof zufolge dem Urteil nicht entnehmen, ob beim Angeklagten eine erhebliche, suchterkrankungsbedingte Einschränkung des Verhaltensspielraums bei der Tatbegehung gegeben war, was schuldmindernd zu berücksichtigen gewesen wäre.

BGH, Beschluss vom 10.02.2021 - 1 StR 478/20

Redaktion beck-aktuell, 13. April 2021.