Durch Organspende erkrankte Klägerin rügt mangelnde Aufklärung
Im ersten Verfahren (Az.: VI ZR 495/16) spendete die Klägerin ihrem chronisch kranken Vater im Februar 2009 eine Niere. Im Mai 2014 kam es zum Transplantatverlust beim Vater. Die Klägerin behauptet, infolge der Organspende an einem chronischen Fatigue-Syndrom und an Niereninsuffizienz zu leiden und macht eine formal wie inhaltlich ungenügende Aufklärung geltend. Das Landgericht und das Berufungsgericht wiesen die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden gerichtete Klage ab.
OLG: Trotz Aufklärungsmangels Einwilligung zu Organentnahme wirksam
Zwar hätten die Beklagten, ein Universitätsklinikum und dort tätige Ärzte, gegen verfahrensrechtliche Vorgaben aus § 8 Abs. 2 TPG (2007) verstoßen, weil weder eine ordnungsgemäße Niederschrift über das Aufklärungsgespräch gefertigt noch das Aufklärungsgespräch in Anwesenheit eines neutralen Arztes durchgeführt worden sei, führte das OLG aus. Doch führe dieser formale Verstoß nicht automatisch zu einer Unwirksamkeit der Einwilligung der Klägerin in die Organentnahme. Eine Haftung der Beklagten folge auch nicht aus der inhaltlich unzureichenden Risikoaufklärung. Denn es greife der von den Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung, da die Klägerin nicht plausibel dargelegt habe, dass sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung von einer Organspende abgesehen hätte.
Vorinstanzen bejahen auch in zweitem Verfahren trotz inhaltlich fehlerhafter Einwilligung deren Wirksamkeit
Im zweiten Verfahren (Az.: VI ZR 318/17) spendete der Kläger seiner nierenkranken Ehefrau im August 2010 ebenfalls eine Niere. Der Kläger behauptet, seit der Organentnahme an einem chronischen Fatigue-Syndrom zu leiden. Die Risikoaufklärung sei formal wie inhaltlich unzureichend gewesen. Die Vorinstanzen wiesen ebenfalls die auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens gerichtete Klage ab. Etwaige formale Verstöße gegen § 8 Abs. 2 TPG (2007) begründeten keine Haftung. Eine solche folge auch nicht aus der inhaltlich fehlerhaften Risikoaufklärung, da der Kläger selbst bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Organentnahme eingewilligt hätte. In beiden Fällen legten die Kläger Revision ein.
BGH hebt Berufungsurteile auf
Der BGH hat den Revisionen stattgegeben und die Sachen zur Feststellung des Schadensumfangs an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zwar seien die Klagen nicht bereits wegen der festgestellten Verstöße gegen die Vorgaben des § 8 Abs. 2 Satz 3 (Anwesenheit eines neutralen Arztes beim Aufklärungsgespräch) und Satz 4 (von den Beteiligten zu unterschreibende Niederschrift über das Aufklärungsgespräch) TPG begründet. Bei den unbeachtet gebliebenen Regelungen handele es sich um Form- und Verfahrensvorschriften, welche die Pflicht des Arztes zur Selbstbestimmungsaufklärung des Spenders begleiteten. Verstöße hiergegen führten nicht per se zur Unwirksamkeit der Einwilligung der Spender in die Organentnahme und zu deren Rechtswidrigkeit, sondern seien erst im Rahmen der Beweiswürdigung als starkes Indiz dafür heranzuziehen, dass eine Aufklärung durch die – insoweit beweisbelastete – Behandlungsseite nicht oder jedenfalls nicht in hinreichender Weise stattgefunden habe.
Inhaltliche Aufklärungsmängel machen Einwilligungen unwirksam
Die Berechtigung des jeweiligen Klagebegehrens jedenfalls dem Grunde nach folge jedoch aus den festgestellten inhaltlichen Aufklärungsmängeln. Danach seien die Kläger, deren eigene Nierenfunktionswerte sich bereits präoperativ im unteren Grenzbereich befanden, nicht ordnungsgemäß über die gesundheitlichen Folgen der Organentnahme für ihre Gesundheit aufgeklärt worden. Die Klägerin des ersten Verfahrens hätte zudem über das erhöhte Risiko eines Transplantatverlusts bei ihrem Vater aufgrund von dessen Vorerkrankung aufgeklärt werden müssen. Damit sei die von den Klägern erteilte Einwilligung in die Organentnahme unwirksam und der Eingriff jeweils rechtswidrig.
Grundsätze hypothetischer Einwilligung nicht auf Lebendorganspende übertragbar
Für den von den Beklagten hiergegen erhobenen Einwand, die Kläger hätten auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Organentnahme eingewilligt, ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kein Raum. Der Einwand der hypothetischen Einwilligung sei im Transplantationsgesetz nicht geregelt. Angesichts des vom Gesetzgeber geschaffenen gesonderten Regelungsregimes des Transplantationsgesetzes ließen sich die zum Arzthaftungsrecht entwickelten Grundsätze der hypothetischen Einwilligung nicht auf die Lebendorganspende übertragen. Der Einwand sei auch nicht nach dem allgemeinen schadenersatzrechtlichen Gedanken des rechtmäßigen Alternativverhaltens beachtlich, weil dies dem Schutzzweck der erhöhten Aufklärungsanforderungen bei Lebendspenden (§ 8 Abs. 2 Satz 1 und 2 TPG) widerspräche.
Besondere Konfliktsituation erfordert umfassende Risikoaufklärung
Die vom Gesetzgeber bewusst streng formulierten und in § 19 Abs. 1 Nr. 1 TPG gesondert strafbewehrten Aufklärungsvorgaben sollen den potentiellen Organspender laut BGH davor schützen, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen; sie dienten dem "Schutz des Spenders vor sich selbst". Jedenfalls bei der Spende eines – wie hier – nicht regenerierungsfähigen Organs, die nur für eine besonders nahestehende Person zulässig sei (§ 8 Abs. 1 Satz 2 TPG), befinde sich der Spender in einer besonderen Konfliktsituation, in der jede Risikoinformation für ihn relevant sein könne. Die echte Freiwilligkeit der Spende sei zudem vorab durch eine Kommission zu verifizieren (§ 8 Abs. 3 TPG).
Vorgaben des Transplantationsgesetzes zwingend einzuhalten
Könnte die Behandlungsseite vor diesem Hintergrund mit dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens eine Haftung abwenden, bliebe die rechtswidrige Organentnahme insoweit sanktionslos und würden die gesonderten Aufklärungsanforderungen des Transplantationsgesetzes unterlaufen. Dies erschütterte das notwendige Vertrauen potentieller Lebendorganspender in die Transplantationsmedizin. Denn die Einhaltung der Vorgaben des Transplantationsgesetzes sei unabdingbare Voraussetzung, wenn – um des Lebensschutzes willen – die Bereitschaft der Menschen zur Organspende langfristig gefördert werden solle.