In einem Rechtsstreit um knapp 23.000 Euro aus einem gewerblichen Mietverhältnis verpasste ein Prozessbevollmächtigter die Berufungsbegründungsfrist: Er hatte eine Fristverlängerung von einem Monat beantragt. Die – erwartete – neue Frist war auch eingetragen worden. Tatsächlich bewilligte das OLG aber nur eine zwei Tage kürzere Verlängerung. Der Anwalt bat seine langjährige und immer sorgfältig arbeitende Angestellte mündlich, das zu korrigieren, aber seine Anweisung wurde nicht ausgeführt. Acht Tage vor dem vermeintlichen Stichtag wurde der Rechtsanwalt krank und kam erst am Tag des tatsächlichen Fristablaufs wieder auf die Beine. Ohne zu bemerken, dass die ursprüngliche Eintragung nicht geändert worden war, begründete er die Berufung zwei Tage zu spät. Nachdem ihn das OLG auf sein Versäumnis hingewiesen hatte, stellte er einen Antrag auf Wiedereinsetzung – vergebens. Auch seine Rechtsbeschwerde vor dem BGH blieb ohne Erfolg.
Während der Partei das Verschulden ihres Anwalts am Fristversäumnis nach § 85 ZPO immer zugerechnet wird, hindert der Fehler einer dritten Person die Wiedereinsetzung nach § 233 ZPO nicht: Die Vergesslichkeit der Rechtsanwaltsfachangestellten wäre relevant, wenn nicht ihrem Chef ein Organisations- oder Aufsichtsverschulden vorzuwerfen wäre.
Der BGH sah hier (Beschluss vom 18.10.2023 – XII ZB 31/23) ein Verschulden in mehrfacher Hinsicht verwirklicht: Der XII. Zivilsenat verlangt bei der mündlichen Anweisung, eine Rechtsmittelbegründungsfrist zu korrigieren, hinzuzufügen, dass diese Anweisung prioritär zu bearbeiten ist. Der Angestellten hätte klar werden müssen, dass sie alles stehen und liegen lassen soll, um diese Aufgabe sofort gewissenhaft zu erledigen. Dies solle verhindern, dass – "etwa im Drang der übrigen Geschäfte" – die Anweisung vergessen werde.
Ein Organisationsverschulden sieht der BGH darin, dass die ursprünglich eingetragene Frist den Vermerk "vorläufig" hätte tragen müssen und spätestens nach Eingang der Bewilligung des Verlängerungsantrags hätte überprüft werden müssen. Dem Anwalt wäre dann bei Vorlage am Tag der Vorfrist aufgefallen, dass die Berichtigung nicht erfolgt war.
Der Prozessbevollmächtigte kann sich laut den Karlsruher Richterinnen und Richtern auch nicht auf seine Krankheit berufen, wenn er keine Vorkehrungen für diesen Fall getroffen hat. Laut ständiger Rechtsprechung muss ein Rechtsanwalt bei Abwesenheit von länger als einer Woche einen Vertreter bestimmen, der in diesem Fall die notwendigen Prozesshandlungen vornimmt. Hier fehle ein entsprechender Vortrag zur Organisation, so auch zur Frage, warum die Akte einem etwaig bestellten Krankheitsvertreter nicht zum Ablauf der Vorfrist vorgelegt wurde.