Konkurrenzverhältnis bei Entziehung Minderjähriger geklärt
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Wer durch Erschleichen des Einverständnisses der Mutter durch List ein Kind entführt und dabei kein Angehöriger des Kindes ist, verwirklicht § 235 Abs. 1 StGB tateinheitlich in zwei Varianten. Der Bundesgerichtshof lehnte eine Konsumtion des zweiten Tatbestandes ab und erklärte, dass die Tatvarianten des § 235 Abs. 1 StGB – Nr. 1 (durch List oder Drohung) und Nr. 2 (dem Kind fremd) – bei Identität des betroffenen Kindes in Tateinheit zueinander stehen.

Zwei Tage alten Säugling entführt

Eine Frau ging in Schwesterntracht auf eine Wöchnerinnenstation und gab vor, den Auftrag zu haben, an dem zwei Tage alten Säugling der dort liegenden Patientin einen Covid-Test durchzuführen. Dafür müsse sie ihn mitnehmen. Die Mutter glaubte ihr und ließ sie ihr Baby mitnehmen. Die Frau ging in ihre Wohnung, sie wollte das Kind dauerhaft als ihr eigenes ausgeben. Schon am nächsten Tag aber flog die Sache auf und der Säugling kam zu seiner Mutter zurück. Das Landgericht Saarbrücken verurteilte die Frau wegen Entziehung Minderjähriger zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, wobei es davon ausging, dass sie beide Tatvarianten in Tateinheit verwirklicht hatte. Die Angeklagte wehrte sich dagegen vor dem Bundesgerichtshof – aber ohne Erfolg.

Gesetzeskonkurrenz bei § 235 StGB

Der BGH bestätigte die Ansicht der Saarbrücker Richter, wonach auch bei Identität des betroffenen Kindes beide Tatvarianten nach § 235 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB tateinheitlich verwirklicht werden können: Ein Minderjähriger könne den Eltern sowohl durch List entzogen werden als auch der Täterin völlig fremd sein. Eine Gesetzeseinheit, die verhindern soll, dass ein im Kern identisches Unrecht doppelt erfasst wird, liege nicht vor, denn die Verletzung des einen Tatbestandes erfülle nicht regelmäßig den anderen. So etwa in den Fällen, in denen zum Beispiel ein Elternteil dem anderen oder dem Jugendamt das eigene Kind entziehe. Außerdem wohne der Entziehung des Kindes durch eine völlig fremde Person ein weiteres Unrecht inne. Die Karlsruher Richter lehnen deshalb eine Verdrängung des zweiten Tatbestands durch den ersten ab.

BGH, Beschluss vom 21.02.2023 - 6 StR 16/23

Redaktion beck-aktuell, 21. März 2023.