BGH konkretisiert Voraussetzung für Netzsperren bei Urheberrechtsverletzungen
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Die Sperrung von Webseiten kann nur verlangt werden, wenn ein Rechteinhaber alle zumutbaren Mittel ausgeschöpft hat. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden und die Revision der klagenden Wissenschaftsverlage zurückgewiesen. Ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sei gegen einen in der EU ansässigen Betreiber oder Host-Provider grundsätzlich zumutbar. Eine Sperrung sei das letzte Mittel, so der BGH.

Streit um Netzsperren bei Urheberrechtsverletzungen

Die klagenden Wissenschaftsverlage hatten von der Telekom verlangt, dass diese den Zugang zu den Internetseiten der Dienste "LibGen" und "Sci-Hub" sperrt, auf denen wissenschaftliche Artikel und Bücher bereitgehalten würden, an denen ihnen die ausschließlichen Nutzungsrechte zustünden. Das LG München I gab der Klage statt. Das OLG München hat das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Verlage hätten entgegen § 7 Abs. 4 TMG nicht die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft, um der Verletzung ihrer Rechte abzuhelfen. Sie hätten sich zunächst an den in Schweden ansässigen Host-Provider der beiden Internetdienste wenden müssen. Die hiergegen eingelegte Revision blieb erfolglos.

BGH: Sperrung ist ultima ratio

Der BGH blieb auf der Linie seiner bisherigen Rechtsprechung: Er hatte 2015 entschieden, dass die Telekom und andere Internet-Provider illegale Seiten im Web sperren müssen - aber nur dann, wenn die Rechteinhaber alles unternommen haben, um gegen die Raubkopierer vorzugehen. Der Access-Provider, der lediglich allgemein den Zugang zum Internet vermittele, hafte nur subsidiär gegenüber denjenigen Beteiligten, die (wie der Betreiber der Internetseite) die Rechtsverletzung selbst begangen oder (wie der Host-Provider) zur Rechtsverletzung durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben und daher wesentlich näher an der Rechtsgutsverletzung seien.

Eilverfahren gegen Betreiber oder Host-Provider grundsätzlich zumutbar

Welche Anstrengungen zur Inanspruchnahme des Betreibers der Internetseite und des Host-Providers zumutbar sind, sei eine Frage des Einzelfalls. Der Rechtsinhaber sei in zumutbarem Umfang dazu verpflichtet, Nachforschungen zur Ermittlung der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten anzustellen. Mit Blick auf eine gerichtliche Durchsetzung von Unterlassungs- und Auskunftsansprüchen sei allerdings in besonderem Maß zu berücksichtigen, dass dem Rechtsinhaber keine Maßnahmen auferlegt werden dürfen, die zu einer unzumutbaren Verzögerung seiner Anspruchsdurchsetzung führten. Ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen innerhalb der Europäischen Union ansässige Betreiber oder Host-Provider habe der Rechtsinhaber jedoch grundsätzlich anzustrengen, sofern nicht jede Erfolgsaussicht fehle.

Möglichkeit des Rechtsbehelfes in Schweden vorliegend zwar fraglich

Nach diesen Maßstäben sei die Beurteilung des Berufungsgerichts, es wäre den Klägerinnen zumutbar gewesen, vor der Inanspruchnahme der Beklagten den Host-Provider der betroffenen Internetdienste in Schweden gerichtlich auf Auskunft in Anspruch zu nehmen, nicht frei von Rechtsfehlern. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zur Rechtslage in Schweden ließen offen, ob den Klägerinnen in Schweden ein Rechtsbehelf des einstweiligen Rechtsschutzes für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Drittauskunft gegen den dort ansässigen Host-Provider zur Verfügung gestanden hätte.

Klägerin hätte aber Auskunftsklage in Deutschland erheben können

Das Berufungsurteil erweise sich jedoch aus anderen Gründen als richtig. Von den Klägerinnen sei jedenfalls der Versuch zu verlangen, vor einem deutschen Gericht im Wege der einstweiligen Verfügung einen Auskunftsanspruch gegen den schwedischen Host-Provider geltend zu machen. Es bestehe kein Anlass zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Klägerinnen hätten umfassend zu den von ihnen ergriffenen Maßnahmen vorgetragen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebiete es nicht, den Klägerinnen durch eine Zurückverweisung die Möglichkeit zu verschaffen, bisher unterbliebene Ermittlungsmaßnahmen erst noch zu veranlassen.

BGH, Urteil vom 13.10.2022 - I ZR 111/21

Redaktion beck-aktuell, 13. Oktober 2022 (ergänzt durch Material der dpa).