BGH konkretisiert familiengerichtliches Weisungsrecht bei Gefährdung des Kindeswohls

Das Familiengericht darf der Mutter eines minderjährigen Kindes und ihrem Lebensgefährten Weisungen zum Schutz des Kindes erteilen, wenn letzterer unter anderem wegen wiederholtem sexuellen Missbrauchs von Kindern eine Freiheitsstrafe verbüßt hat. Dies geht aus einem jetzt veröffentlichten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 23.11.2016 hervor. Die allein sorgeberechtigte Mutter war im zugrundeliegenden Fall Mitte 2015 mit ihrer damals siebenjährigen Tochter in den Haushalt ihres Partners eingezogen (Az.: XII ZB 149/16).

Lebensgefährte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt

Der Mann war insbesondere in den Jahren 2000 und 2004 wegen mehrerer Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern, in einem davon in Tateinheit mit Vergewaltigung, rechtskräftig verurteilt worden und hatte deshalb eine viereinhalbjährige Freiheitsstrafe bis Dezember 2009 vollständig verbüßt. Im Rahmen der anschließend angeordneten und bis Februar 2016 dauernden Führungsaufsicht war ihm im April 2015 verboten worden, zu Kindern und Jugendlichen weiblichen Geschlechts Kontakt aufzunehmen, außer in Begleitung und unter Aufsicht eines Sorgeberechtigten. Ferner war er im Jahr 2012 wegen Besitzes von kinder- und jugendpornographischen Schriften und im Jahr 2013 wegen Nachstellung rechtskräftig verurteilt worden.

Gericht erteilte Mutter und Lebensgefährten Weisungen

Auf Anregung des Jugendamts hatte das Amtsgericht im Juli 2015 der Mutter Teile des Sorgerechts entzogen und insoweit das Jugendamt als Ergänzungspfleger bestellt. Auf dessen Veranlassung wohnte das Kind dann zunächst bei einer befreundeten Familie und anschließend in einem Kinderhaus. Das Oberlandesgericht hat auf die Beschwerde der Mutter die Wirksamkeit dieses Beschlusses im September 2015 ausgesetzt und der Mutter sowie dem Lebensgefährten Weisungen erteilt. Der Mutter hat es untersagt, das Kind ohne ihre gleichzeitige Anwesenheit mit dem Lebensgefährten verkehren zu lassen und zwischen 22 Uhr und 8 Uhr den Aufenthalt des Kindes in derselben Wohnung wie der Lebensgefährte zuzulassen. Gegen den Lebensgefährten hat es entsprechende Verbote ausgesprochen. Ferner hat es der Mutter aufgegeben, jederzeit unangekündigte Besuche des Jugendamts oder vom Jugendamt hiermit beauftragter Personen zu gestatten. Das Mädchen ist daraufhin in den Haushalt der Mutter zurückgekehrt. Mit dem angegriffenen Beschluss hat das OLG dann die Entscheidung des AG abgeändert und die bereits ausgesprochenen Weisungen wiederholt. Die Voraussetzungen eines (teilweisen) Sorgerechtsentzugs lägen zwar nicht vor. Angesichts einer bei dem Lebensgefährten sachverständig festgestellten 30%igen Rückfallwahrscheinlichkeit seien aber die angeordneten Ge- und Verbote erforderlich.

Hinreichende Wahrscheinlichkeit für Schädigung des Kindeswohls

Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde der Mutter, mit der sie den Wegfall der Ge- und Verbote anstrebte, ist auch vor dem BGH ohne Erfolg geblieben. Gemäß § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht die zur Abwendung einer Gefährdung des Kindeswohls erforderlichen Maßnahmen zu treffen, zu deren Abwendung die sorgeberechtigten Personen nicht gewillt oder in der Lage sind. Eine solche Kindeswohlgefährdung liege vor, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts seien dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerwiegender der drohende Schaden ist. Die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit müsse allerdings in jedem Fall auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen. Außerdem müsse der drohende Schaden für das Kind erheblich sein. Selbst bei hoher Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines nicht erheblichen Schadens seien Maßnahmen nach § 1666 BGB nicht gerechtfertigt. In solchen Fällen sei dem elterlichen Erziehungs- und Gefahrabwendungsprimat der Vorrang zu geben. Sei eine Kindeswohlgefährdung in diesem Sinne festgestellt, habe das Gericht regelmäßig aus einer Vielzahl grundsätzlich möglicher Maßnahmen nach seinem Ermessen die gebotene Auswahl zu treffen.

Einschätzung des OLG begegnet keinen rechtlichen Bedenken

Danach habe das OLG zu Recht die Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 BGB bejaht. Es habe mit sachverständiger Hilfe eine zwar nicht überwiegende, aber durchaus erhebliche Gefahr festgestellt, dass der Lebensgefährte gegenüber dem Kind in ähnlicher Weise übergriffig wird wie in den Fällen, die seinen Verurteilungen in den Jahren 2000 und 2004 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zugrunde lagen. Die darauf fußende Annahme, wegen des dem Kind drohenden schwerwiegenden Schadens, der mit einem sexuellen Missbrauch verbunden wäre, bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Schädigung, begegne keinen rechtlichen Bedenken.

BGH: Maßnahmen auch zumutbar

Auch die einzelnen Maßnahmen seien rechtlich nicht zu beanstanden, entschied der BGH. Soweit sie einen erheblichen Eingriff in Grundrechte der Kindesmutter und ihres Lebensgefährten bedeuten, seien sie in § 1666 Abs. 3 und 4 BGB ausdrücklich benannt oder den dort aufgezählten Maßnahmen vergleichbar. Die erteilten Weisungen würden zudem dem stets zu beachtenden – und für den Fall der Trennung des Kindes von der elterlichen Familie in § 1666a BGB ausdrücklich geregelten – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Sie seien also zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung auf der Grundlage der vom OLG getroffenen Feststellungen geeignet, erforderlich und den Beteiligten auch zumutbar. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde könne insbesondere dem 13-jährigen Bruder des Mädchens nicht angesonnen werden, durch seine ständige Anwesenheit die Ge- und Verbote zu ersetzen. Ebenso könnten technische Maßnahmen wie eine akustische Überwachung des Kinderzimmers mittels eines Babyphones oder eines Signals beim Öffnen der Tür zum Kinderzimmer keine hinreichende Sicherung bewirken. Angesichts der schweren möglichen Folgen eines nur einmaligen Missbrauchs seien die getroffenen Maßnahmen auch im Hinblick auf die erhebliche Beeinträchtigung der Lebensführung der Mutter, des Kindes und des Lebensgefährten und unter Berücksichtigung des festgestellten Grades der Rückfallgefahr zumutbar.

BGH, Beschluss vom 16.12.2016 - XII ZB 149/16

Redaktion beck-aktuell, 16. Dezember 2016.

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