Bank-Klausel fingiert Zustimmung für unbeschränkte AGB-Änderung
Die beklagte Bank verwendet in ihrem Geschäftsverkehr mit Verbrauchern Klauseln zu Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die den Kunden spätestens zwei Monate vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens in Textform angeboten werden. Diese entsprechen im Wesentlichen den Nr. 1 Abs. 2 AGB-Banken und Nr. 2 Abs. 1 bis 3 AGB-Sparkassen beziehungsweise den Nr. 12 Abs. 5 AGB-Banken und Nr. 17 Abs. 6 AGB-Sparkassen. Die Zustimmung des Kunden gilt danach als erteilt, wenn er seine Ablehnung nicht vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderungen angezeigt hat. Auf diese Genehmigungswirkung weist ihn die Bank in ihrem Angebot besonders hin. Der Kunde hat die Möglichkeit der Kündigung.
Verbraucherschutzklage blieb vorinstanzlich erfolglos
Der Kläger, der Verbraucherzentrale Bundesverband, hält die Klauseln für unwirksam. Er begehrte mit seiner Klage, der Beklagten bei Meidung von Ordnungsmitteln aufzugeben, es zu unterlassen, die Klauseln in Verträge mit Verbrauchern einzubeziehen und sich auf die Klauseln zu berufen. Nachdem die Klage in den Vorinstanzen erfolglos war, legte der Kläger Revision ein.
BGH gibt Revision statt - Klausel ist unwirksam
Der Bundesgerichtshof hat der Revision stattgegeben und das Berufungsurteil aufgehoben. Dabei hat er bestätigt, dass die Klauseln vollumfänglich der AGB-Kontrolle unterliegen. Das gelte auch, soweit sie Zahlungsdiensterahmenverträge erfassten. § 675g BGB sperre die Anwendung der §§ 307 ff. BGB nicht. Das folge aus dem Unionsrecht (EuGH, Urteil vom 11. 11.2020, BeckRS 2020, 30025), dessen Umsetzung § 675g BGB diene und der in diesem Sinne unionsrechtskonform auszulegen sei. Die Klauseln, die so auszulegen sind, dass sie sämtliche im Rahmen der Geschäftsverbindung geschlossenen Verträge der Beklagten mit ihren Kunden wie etwa auch das Wertpapiergeschäft und den Sparverkehr betreffen, hielten der eröffneten AGB-Kontrolle nicht stand.
Unbeschränkte Zustimmungsfiktion weicht von vertraglichen Grundprinzipien ab
Nr. 1 (2) der AGB der Beklagten betreffe alle Änderungen "dieser" Geschäftsbedingungen, also der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die zugleich mit Nr. 1 (2) AGB vereinbart werden, und Änderungen (künftiger) "besonderer Bedingungen" für einzelne gesondert vereinbarte Geschäftszweige, die das gesamte Tätigkeitsspektrum der Beklagten umfassten. Sie betreffe nicht nur Anpassungen von einzelnen Details der vertraglichen Beziehungen der Parteien mittels einer fingierten Zustimmung des Kunden, sondern ohne inhaltliche oder gegenständliche Beschränkung jede vertragliche Änderungsvereinbarung. Damit weiche sie von wesentlichen Grundgedanken der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB ab, indem sie das Schweigen des Verwendungsgegners als Annahme eines Vertragsänderungsantrags qualifiziere. Diese Abweichung benachteilige die Kunden der Beklagten unangemessen nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.
Bankkunden werden unangemessen benachteiligt
Eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders werde vermutet, wenn eine klauselmäßige Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung gegeben sei. Die allgemeine Änderungsklausel biete eine Handhabe, unter Zuhilfenahme einer Zustimmungsfiktion im Falle einer fehlenden fristgerechten Ablehnung das Vertragsgefüge insgesamt umzugestalten. Dass "vereinbarte" Änderungen ihrerseits der Ausübungskontrolle unterlägen, gleiche diesen Umstand nicht aus. Für so weitreichende, die Grundlagen der rechtlichen Beziehungen der Parteien betreffende Änderungen, die dem Abschluss eines neuen Vertrags gleichkommen können, sei vielmehr ein den Erfordernissen der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB genügender Änderungsvertrag notwendig.
Keine einseitige Anpassungsbefugnis der Bank
Auch Nr. 12 (5) der AGB der Beklagten halte einer Inhaltskontrolle nicht stand. Die Klausel betreffe Entgelte für Hauptleistungen. Damit benachteilige die Klausel auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass keine einseitige Anpassungsbefugnis der Beklagten bestehe, sondern Änderungen des Vertragsverhältnisses nur im Wege eines - gegebenenfalls fingierten - Konsenses zustande kommen sollen, die Kunden der Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB). Mittels Zustimmungsfiktion könne die vom Kunden geschuldete Hauptleistung geändert werden, ohne dass dafür Einschränkungen vorgesehen seien.
Derartiger Eingriff in das Leistungsgefüge nur durch Änderungsvertrag zulässig
Die Beklagte erhalte damit eine Handhabe, das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung erheblich zu ihren Gunsten zu verschieben und damit die Position ihres Vertragspartners zu entwerten. Für solche weitreichenden, die Grundlagen der rechtlichen Beziehungen der Parteien betreffenden Änderungen sei ein den Erfordernissen der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB genügender Änderungsvertrag notwendig. Eine Zustimmungsfiktion im Falle einer fehlenden fristgerechten Ablehnung reiche hierfür unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Verwendungsgegners nicht aus. Der Vorsitzende Richter Jürgen Ellenberger gab zwei Beispiele: So wie die Klauseln im Moment formuliert sind, könnte eine Bank Kunden etwa mit kostenlosen Depots anwerben und dann später mittels der Klauseln Gebühren einführen. Das komme aber vielmehr einem neuen Vertrag gleich, so der Richter. Oder die Bank könnte das Vertragsgefüge so umgestalten, dass aus einem Sparvertrag ein "schließfachähnlicher" Vertrag wird, für den der Verbraucher plötzlich zahlen muss - statt Zinsen zu bekommen.
Kaum Reaktion der Banken
Die hier konkret betroffene Postbank selbst hatte sich schon vor dem BGH-Verfahren nicht äußern wollen. Branchenübergreifend äußerte sich die Deutsche Kreditwirtschaft, ein Zusammenschluss der sogenannten kreditwirtschaftlichen Spitzenverbände wie dem Bundesverband deutscher Banken und dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband. Sie teilte nach der Entscheidung aber lediglich mit, eine weitergehende Analyse des Urteils sowie eine Bewertung seiner Auswirkungen seien erst möglich, wenn auch die Entscheidungsgründe des Urteils vorliegen. Das könne einige Wochen dauern.
Experten gehen von erheblicher Verbreitung der Klauseln aus
Experten gehen davon aus, dass weite Teile der Branche betroffen sind. Die beanstandeten Klauseln entsprechen im Wesentlichen den Muster-AGB der Banken und jenen der Sparkassen. Ein Sprecher der Deutschen Kreditwirtschaft bestätigte, dass viele Kreditinstitute im sogenannten Massengeschäft den fraglichen Mechanismus verwendeten. "Insofern hat das Urteil auch für andere Marktteilnehmer Bedeutung." Laut Thomas Pfeiffer vom Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht an der Uni Heidelberg kann sich die Entscheidung auch auf Zahlungsdienstleister wie Paypal auswirken. Ob darüber hinaus andere Branchen betroffen sein könnten, ist unter Fachleuten umstritten. Stefan Arnold, der sich an der Uni Münster unter anderem mit Vertragsrecht befasst, schätzte schon vor der Verhandlung, dass die Praxis weit verbreitet sei - und somit auch in anderen Branchen Auswirkungen zu erwarten seien. Überlegungen zu Fairness oder fehlender Transparenz gegenüber Kunden wären wohl übertragbar. Aus Sicht von Dimitrios Linardatos vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Bank- und Kapitalmarktrecht, Insolvenzrecht an der Uni Mannheim ist der Zahlungsdienstebereich allerdings europarechtlich geregelt und stark reguliert - anders als etwa der Internetmarkt.
Auswirkungen für Kunden noch unklar
Linardatos erwartet in erster Linie mehr Bürokratie und Post. "Einen praktischen Nutzen für Bankkunden sehe ich nicht", sagte er. Sei der mit einer Änderung nicht einverstanden, könne er auch heute schon kündigen. "Es wird quasi nur Aufwand produziert." Und Linardatos sagte, was wohl viele denken: "Die AGB liest ja so schon keiner." Der Vertreter der Bank sagte in der Verhandlung, die Entscheidung werde die Kreditinstitute vor "riesige Probleme" stellen. Für Banken seien im Massengeschäft nur einheitliche Regelungen praktikabel, führte der Anwalt aus. Da Verträge meist über mehrere Jahrzehnte liefen, müssten naturgemäß Anpassungen erfolgen - etwa wenn sich die Gesetzeslage ändere oder der technische Fortschritt Änderungen nötig mache. Er könne sich keine Klausel vorstellen, die dann noch einer Überprüfung des BGH standhalte, sagte der Jurist. Dem entgegnete der Vertreter der Verbraucherschützer, Formulierungsschwierigkeiten dürften kein Grund sein, Abstriche beim Schutz der Kunden zu machen.