Keine Unterstellung fehlenden Tötungsvorsatzes erlaubt

Der Bundesgerichtshof hob ein Strafurteil auf, weil es auf gravierenden Darstellungsmängeln basierte: Das Gericht hatte es versäumt, festzustellen, welche Vorstellung sich ein Angeklagter über das weitere Schicksal seines Opfers machte, dass er nachts bewusstlos mit mehreren Gesichtsbrüchen auf dem Boden liegenließ. Der BGH konnte bei der Überprüfung auch nicht erkennen, worauf dieser Mangel beruhte. Das erkennende Gericht könne den fehlenden Vorsatz nicht einfach vermuten. 

"Witz" führt zu lebensgefährlicher Verletzung

Ein Mann feierte in seiner Wohnung mit einigen Bekannten und konsumierte Rauschmittel. Als gegen vier Uhr morgens das Bier alle war, ging er mit zwei weiteren Männern zur nahe gelegenen Tankstelle, um dort mehr Alkohol zu kaufen. Beim Rausgehen begegnete er dem Nebenkläger, stellte sich ihm in den Weg, tänzelte ein wenig vor ihm her und äußerte unverständliche Laute. Dann verließ er den Verkaufsraum. Der Nebenkläger rief ihm aggressiv etwas hinterher, was aber keiner verstand. Die Gruppe wartete deshalb draußen am Wagen des anderen, um "die Sache zu klären". Dieser – ebenfalls erbost – kam auch bald. Mit ausladenden Gesten beschimpfte und beleidigte er den Angeklagten. Dann drehte er sich zu seinem Fahrzeug herum, um einzusteigen. Da bekam er von seinem Gegner eine volle Bierflasche von hinten an den Kopf geworfen. Er verlor das Bewusstsein und fiel mit dem Gesicht auf den gepflasterten Boden. Dadurch erlitt er zahlreiche Gesichtsfrakturen. Die Gruppe verließ das Tankstellengelände, ohne Hilfe zu organisieren. Das Landgericht Braunschweig verurteilte ihn wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten. Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft Revision zum BGH ein, weil sie die Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts angemessener fand – vorerst mit Erfolg. 

Angaben des Angeklagten zu Tötungsvorsatz fehlten

Der BGH hob das Urteil mitsamt den Feststellungen hinsichtlich des subjektiven Tatgeschehens auf, weil er gravierende Fehler des LG feststellte: Zunächst gebe das Urteil keine zusammenfassende Darstellung der Einlassung des Täters wider, sodass das Revisionsgericht keine Möglichkeit habe zu überprüfen, ob das Gericht die Bedeutung der Angaben des Angeklagten richtig erkannt und bewertet hatte. Die Feststellungen waren nach Ansicht der Leipziger Richter auch lückenhaft, weil sie keinerlei Angaben zum Vorstellungsbild des Angeklagten enthielten, mit dem er sein Opfer verließ. Der Grund für diesen Mangel sei auch nicht erkennbar: Hatte der Mann die Angaben verweigert? Lag also insoweit ein Teilschweigen vor? Oder war es schlichtweg gar kein Thema gewesen?

Annahme des Gerichts auf Sand gebaut

Auf dieser Grundlage kann das LG dem 6. Strafsenat zufolge nicht annehmen, dass der Flaschenwerfer darauf vertraut hat, dass dem Opfer vom Tankstellenpersonal geholfen wird. Weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch aus einem anderen Grund könne zugunsten des Angeklagten Geschehensabläufe unterstellt werden, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte vorlägen. Eine Bewegung des Personals im Verkaufsraum, aus der ein Zeuge geschlossen habe, dass die Angestellte auf dem Weg zum Geschädigten sei, belege keine Vorstellung des Täters – und auf diese komme es an.

BGH, Urteil vom 07.09.2022 - 6 StR 225/22

Redaktion beck-aktuell, 5. Oktober 2022.