Keine Strafe ohne Gesetz

Durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung kann zwar rückwirkend eine Tarifbindung bezüglich des Sozialkassenverfahrens kreiert werden – strafrechtliche Handlungspflichten können dem Bundesgerichtshof zufolge aber nicht nachträglich begründet werden. Dem stehe der verfassungsrechtliche Grundsatz „Nulla poena sine lege“ entgegen.

Verlustträchtigen Großauftrag angenommen

Ein Geschäftsleiter einer Gerüstbau-GmbH nahm einen Großauftrag an, der bei vernünftiger Kalkulation für den vereinbarten Preis nicht gewinnbringend auszuführen war. Also trickste er beim Personal: Die Arbeitnehmer wurden 2014 und 2015 als geringfügig Beschäftigte angemeldet und arbeiteten überwiegend "schwarz". Die Löhne akquirierte der Mann durch den Ankauf von Scheinrechnungen. Insgesamt entstand in zwei Jahren sowohl der Sozialversicherung als auch der Berufsgenossenschaft ein Schaden in sechsstelliger Höhe. Gegenüber der SOKA Gerüstbau (Urlaubs- und Lohnausgleichskasse des Gerüstbaugewerbes und Zusatzversorgungskasse) und dem Finanzamt erklärte die GmbH geringere Lohnsummen. Er wurde deshalb unter anderem wegen Betrugs vom Landgericht Bochum zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Damit war er nicht zufrieden und erhob Revision zum Bundesgerichtshof - zum Teil erfolgreich.

War die Gerüstbau-GmbH tarifgebunden?

Ein Betrug zum Nachteil der SOKA Gerüstbau ist den Karlsruher Richtern zufolge nur dann gegeben, wenn die GmbH zum Zeitpunkt der Erklärung tarifgebunden war, weil nur in diesem Fall eine Beitragspflicht bestanden hatte. Das Bochumer Landgericht hatte dazu keinerlei Feststellungen im Urteil getroffen. Eine Tarifbindung über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung in § 15 Abs. 1 SokaSiG2 vom September 2017 komme zwar rückwirkend in Betracht, obwohl auch das noch umstritten sei. Strafrechtliche Pflichten könnten aber durch dieses Gesetz rückwirkend nicht begründet werden, weil dem Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB entgegenstehen: Danach kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Der BGH hob das Urteil deshalb auf und verwies die Sache zurück.

BGH, Beschluss vom 15.12.2021 - 1 StR 342/21

Redaktion beck-aktuell, 14. Januar 2022.