Ein Mann war im Mai 2022 wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hatte das Landgericht Berlin abgesehen, obwohl der Angeklagte unter Polytoxikomanie litt, also gleichzeitig von verschiedenen psychotrop wirkenden Substanzen gleichzeitig abhängig war.
Auf seine Revision hin, in der er mehrere Mängel rügte, hob der Bundesgerichtshof das Urteil bezüglich der nicht angeordneten Unterbringung auf, weil das LG seine Entscheidung dazu fehlerhaft begründet hatte. Doch auch in der erneuten Entscheidung entschied das LG Berlin, das nun nur noch über die Anordnung der Maßregel zu befinden hatte, sich wieder dagegen. Der Angeklagte ging deshalb erneut in Revision – dieses Mal ohne Erfolg (Beschluss vom 24.10.2023 – 5 StR 472/23).
Ein Angeklagter kann ein gegen ihn ergangenes Urteil nicht allein deswegen anfechten, weil gegen ihn neben der Strafe keine Maßregel angeordnet worden ist, so der 5. Strafsenat. Die Revision sei unzulässig, weil der Beschuldigte durch die Nichtanordnung nicht beschwert sei. Das gelte auch, wenn nach Aufhebung und Zurückverweisung nur noch über diese Frage zu entscheiden war.
Menschen, die eigentlich in Haft gehören? Maßregelvollzug überlastet
Vermutlich hätte der Beschuldigte allerdings ohnehin so schnell keinen Therapieplatz bekommen. In Berlin sind – wie auch in anderen Krankenhäusern des Maßregelvollzugs bundesweit - die Einrichtungen für den Maßregelvollzug seit Jahren hoffnungslos überbelegt. Die Zahl der Täterinnen und Täter, die im Zusammenhang mit Drogen oder Alkohol Straftaten begehen, steigt seit Jahrzehnten an.
Immer wieder monieren die Kliniken, dass dort Menschen säßen, die eigentlich in Haft sitzen müssten. Sie führen das auch auf eine immer weitere Auslegung von § 64 StGB durch die Gerichte zurück. Nach der Norm sollen Gerichte die Unterbringung in der Entziehungsanstalt anordnen, wenn straffällig gewordene Personen den "Hang" zur Sucht haben und ihre Straftaten damit zusammenhängen – zu dehnbar die Begrifflichkeiten, zu wenig überprüfbar der Zusammenhang, so die Kritik.
Reform seit 1. Oktober soll Maßregelvollzug entlasten
Eine vermutete starke Anreizwirkung für die Verteidigung, auf eine solche Unterbringung statt auf Haft abzuzielen, ist zum 1. Oktober 2023 abgeschafft worden. Wenn das Gericht neben einer Haftstrafe auch eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnet, wurde zuvor schon nach der Hälfte der Gesamtstrafzeit überprüft, ob der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Das wurde zum 1. Oktober 2023 "in der Regel" angeglichen an die Haft, wo dieser Zeitpunkt erst bei zwei Dritteln des Strafmaßes liegt (§ 67 Abs. 5 n.F. StGB).
Die Wartezeit verbringen Straftäterinnen und Straftäter oft in sogenannter Organisationshaft. Sie sitzen also in Haft und warten auf einen freien Behandlungsplatz - eine nach dem BverfG (Beschl. v. 26.9.2005 – 2 BvR 1019/01) eigentlich gesetzwidrige und dem zu vollstreckenden Urteil widersprechende Verkehrung der Vollstreckungsreihenfolge. Denn die Vollstreckungsbehörde leitet dann nicht unverzüglich nach seiner Verurteilung die Überstellung des Verurteilten in den Maßregelvollzug ein, wie es eigentlich gesetzlich vorgesehen ist: Erst Klinik, dann Gefängnis.
Wenn die Kliniken voll sind, erhalten Täterinnen und Täter, die sie dringend bräuchten, keine Therapie. Zudem mussten, wie zum Beispiel im März dieses Jahres focus.de berichtete, nicht nur in Berlin in den vergangenen Jahren mehrfach Straftäter freigelassen werden.
