Keine Rechtskraftwirkung einer Vorfrage des Vorprozesses

Die rechtskräftige Verurteilung zur Zahlung des restlichen Kaufpreises in einem Vorprozess stellt nicht das Bestehen des Kaufvertrags mit Bindungswirkung für einen Folgeprozess fest. Vielmehr handelt es sich laut Bundesgerichtshof nur um die Feststellung einer Vorfrage, die nicht in Rechtskraft erwächst. Daher müsse das Berufungsgericht selbst prüfen, ob die materiellen Einwendungen begründet sind.

Teilrücktritt vom Kaufvertrag

Eine Käuferin hatte von einer Grundstückseigentümerin auf Grundlage eines notariellen Kaufvertrags vom 29.12.2014 eine Liegenschaft zum Betrieb eines Hotels für 490.000 Euro erworben. Sie verpflichtete sich, das Bauwerk binnen drei Jahren ab Vertragsschluss zu errichten. Andernfalls schuldete sie eine Vertragsstrafe in Höhe von 24.500 Euro. Zugleich unterwarf sie sich der sofortigen Zwangsvollstreckung aus der Urkunde in ihr gesamtes Vermögen. Nachdem die Erwerberin festgestellt hatte, dass sich auf einem Teilbereich des Areals eine Mittelspannungsleitung befand, erklärte sie im März 2017 den Teilrücktritt vom Kaufvertrag. In einem ersten schadenersatzrechtlichen Vorprozess wurde sie auf die Widerklage der Beklagten zur Zahlung des restlichen Kaufpreises verurteilt. Auch mit einer weiteren Klage in einem zweiten Vorprozess scheiterte sie. Zwischenzeitlich hatte sie auf dem anderen Teilstück ein Hotelgebäude errichtet. Die Verkäuferin monierte die Art und Weise der Bepflanzung des Grundstücks und betrieb die Zwangsvollstreckung wegen der Vertragsstrafe aus dem notariellen Kaufvertrag sowie aus dem im ersten Vorprozess ergangenen Zahlungsurteil. Gegen die Vollstreckung aus den beiden Titeln wehrte sich die Bauherrin mit der Vollstreckungsabwehrklage.

OLG: Wirksamkeit des Kaufvertrags steht rechtsverbindlich fest

Mit dem Anliegen drang sie weder beim Landgericht Düsseldorf noch beim dortigen OLG durch. Die Klägerin könne sich nicht gegen die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Kaufvertragsurkunde wenden. Aufgrund der beiden rechtskräftigen Entscheidungen des LG in den Vorprozessen stehe zwischen den Parteien verbindlich fest, dass der notarielle Kaufvertrag vom 29.12.2014 wirksam und nicht wegen etwaiger Täuschungshandlungen der Beklagten oder Pflichtverletzungen des beurkundenden Notars ganz oder teilweise rückabzuwickeln oder nichtig sei. Mit ihren Einwänden gegen die beiden Urteile könne die Klägerin wegen Präklusion nach § 767 Abs. 2 ZPO nicht gehört werden, da sie bereits vor Ende der mündlichen Verhandlung entstanden seien. Die Revision der Klägerin beim BGH hatte Erfolg.

BGH: Rechtskraft verkannt

Der V. Zivilsenat verwies die Sache an das OLG zurück. Dieses habe den Umfang der Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO der in den beiden Vorprozessen ergangenen Urteile verkannt, so die Kritik. Die dort getroffenen Feststellungen zur Wirksamkeit des Kaufvertrags und zur Unwirksamkeit des erklärten Teilrücktritts hätten sich – was das OLG verkenne – lediglich als Vorfragen der Vorprozesse dargestellt, die nicht von der Rechtskraft der Urteile über die Zahlungs- und Feststellungsklagen erfasst würden. Das OLG habe daher bei seiner Entscheidung nicht ohne eigene Sachprüfung davon ausgehen dürfen, dass der Kaufvertrag rechtswirksam und nicht ganz oder teilweise rückabzuwickeln sei. Ob die materiellen Einwendungen gegen die in der vollstreckbaren notariellen Kaufvertragsurkunde und dem Urteil des LG von 2018 titulierten Ansprüche begründet seien, müsse das OLG nunmehr prüfen.

BGH, Urteil vom 17.02.2023 - V ZR 212/21

Redaktion beck-aktuell, 19. April 2023.