Keine Notwehrprovokation bei möglichem Hinterhalt

Wird ein Angreifer möglicherweise in eine Falle gelockt, in der er attackiert werden soll, ist sein Vorverhalten nicht als Notwehrprovokation zu bewerten. Nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" muss die Rechtfertigung seiner Körperverletzung durch Notwehr geprüft werden. Das hat der Bundesgerichtshof am 17.06.2020 beschlossen.

Schlägerei endet mit Messerstichen

Nach einer gewalttätigen Auseinandersetzung um eine Darlehensrückzahlung hatten die Kontrahenten ein Treffen am Abend zum vordergründig friedlichen Austausch vereinbart. Tatsächlich aber bewaffnete sich der Angeklagte mit einem Messer und sein Begleiter mit einem Schlagstock, um sich einerseits gegebenenfalls verteidigen zu können und andererseits die Forderung auch gewaltsam durchsetzen zu können. Sein Gegner vereinbarte mit einem anderen Mann, plötzlich mit einem Golfschläger aus einem Nebeneingang zu dem Treffen zu stoßen. Das Landgericht Landau konnte nicht ausschließen, dass sie einen tätlichen Angriff unabhängig vom Gesprächsverlauf geplant hatten. Es kam, wie es kommen musste: Der säumige Schuldner verweigerte die Zahlung, und es entspann sich ein körperlicher Schlagabtausch zunächst ohne Waffen. Dann schlug der Mann aus dem Hinterhalt dem Angeklagten mit dem Golfschläger fest auf den rechten Beckenknochen und den linken Arm. Dieser zog daraufhin sein Messer und stach sechs Mal zwischen Hals und Unterleib auf seinen bewaffneten Angreifer ein. Das Landgericht verurteilte ihn daraufhin wegen gefährlicher Körperverletzung, wobei es eine Notwehrhandlung verneinte, weil er die Notwehrlage provoziert habe. Dagegen wehrte sich der Angeklagte vor dem Bundesgerichtshof - mit Erfolg.

Notwehrprovokation nicht gegeben

Nur wenn die Notwehrlage eine adäquate und voraussehbare Folge vorherigen Verhaltens ist, so der 4. Strafsenat, kann eine Notwehrprovokation angenommen werden. Dann hätte aber der Kampf mit seinem Schuldner oder die vorangegangene Konfrontation in dessen Wohnung den Angriff auf ihn auslösen müssen. Das sei hier nicht festgestellt worden: Vielmehr habe das Gericht nicht ausschließen können, dass der Angeklagte bewusst in einen Hinterhalt gelockt worden sei, um ihn anzugreifen. In diesem Fall sei sein Vorverhalten nur ein Vorwand für die verabreichte Prügel mit dem Golfschläger gewesen. Also hätte in dubio pro reo die Rechtfertigung der Messerstiche durch Notwehr nach § 32 StGB geprüft werden müssen. Daher hob der BGH das Urteil diesbezüglich auf und verwies die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts zurück.

Notwehrprovokation

Eine Notwehrprovokation liegt vor, wenn ein Angriff herausgefordert wird, um den Gegner unter dem Deckmantel einer äußerlich gegebenen Notwehrlage zu verletzen. In einem solchen Fall ist dem Täter die Notwehr je nach Grad der Vorwerfbarkeit eingeschränkt bis versagt, weil er rechtsmissbräuchlich handelt: Er täuscht den Verteidigungswillen nur vor - in Wirklichkeit will er angreifen. Er kann seine Tat dann nicht mit der Notwehr rechtfertigen.

BGH, Beschluss vom 16.06.2020 - 4 StR 648/19

Redaktion beck-aktuell, 13. Oktober 2020.