Stellungnahme nicht ausgedruckt
Ein Käufer hatte im Zusammenhang mit dem "Dieselskandal" Volkswagen auf Schadenersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht Braunschweig wies die Klage ab. Die Anwältin des Klägers hatte zunächst über das besondere elektronische Anwaltspostfach fristgerecht Berufung eingelegt und diese begründet. Zwar ging der Schriftsatz im Elektronischen Gerichtspostfach fristgerecht ein und wurde auf dem Server aufgezeichnet; ein Ausdruck davon erfolgte jedoch nicht. Das Oberlandesgericht Braunschweig teilte dem Kläger am 13.09.2019 mit, dass eine Verwerfung der Berufung wegen Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist beabsichtigt sei, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Seine Anwältin erklärte daraufhin mit am 16.10.2019 beim OLG eingegangenen Schriftsatz unter Vorlage eines Screenshots, dass sie die Begründungsschrift über das beA fristgerecht eingereicht habe. Daraufhin wurde der Schriftsatz auf dem Server aufgefunden und ausgedruckt. Die Berufung hatte gleichwohl vor dem OLG keinen Erfolg und wurde am 11.10.2019 verworfen: Sie sei nicht rechtzeitig begründet worden. Eine Stellungnahme zu einem am 13.09.2019 per Telefax erteilten Hinweis der Senatsvorsitzenden sei nicht eingegangen.
BGH: Verfahrensnachteile durch gerichtsinterne Vorgänge
Das sah der BGH nun anders und gab der Rechtsbeschwerde statt. Aus Sicht der Karlsruher Richter verletzt der angefochtene Beschluss den Kläger in seinen Rechten auf ein faires Verfahren und Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes nach Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG. Das OLG Braunschweig habe die Berufung als unzulässig verworfen, obwohl die Berufungsbegründung innerhalb der Frist bei Gericht eingegangen sei. Die Rechtsanwältin habe den Schriftsatz als elektronisches Dokument ordnungsgemäß über das beA an das Elektronische Gerichtspostfach des OLG übermittelt; er sei dann auf dem für den Empfang bestimmten Server des Gerichts gespeichert worden. Dies genüge für die Fristwahrung nach § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO. Der Umstand, dass das elektronische Dokument weder von einem Client-Rechner des OLG abgeholt noch ausgedruckt worden war, sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Dem VI. Zivilsenat zufolge handelt es sich hierbei um gerichtsinterne Vorgänge, die für den Zeitpunkt des Eingangs nicht von Bedeutung sind. Aus dem Versäumnis, die Berufungsbegründung beim Eingangsserver abzuholen, hätten für den Käufer keine Verfahrensnachteile resultieren dürfen.
Subsidiarität im Rechtsbeschwerdeverfahren
Die Bundesrichter maßen der erst am 16.10.2019 erfolgten Reaktion auf den Hinweis der Vorsitzenden keine Bedeutung zu. Die gegenteilige Ansicht der Herstellerin, der Käufer habe hier durch Verspätung gegen den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität verstoßen, sei unzutreffend. Die Begründung trotz Eingangs nicht mehr zu berücksichtigen, käme nur dann in Betracht, wenn der Partei vom Gericht eine Frist gesetzt worden wäre oder so viel Zeit seit dem Hinweis verstrichen sei, dass – gegebenenfalls "auch unter Berücksichtigung außergewöhnlicher Umstände" – mit einer Stellungnahme nicht mehr habe gerechnet werden könne. Beide Voraussetzungen hätten hier nicht vorgelegen, so die Karlsruher Richter.