Keine Geschäftsunfähigkeit für komplexen Sachverhalt

Wenn ein Mensch über einfache Sachverhalte noch selbst entscheiden kann, ist er in Bezug auf komplexe Sachverhalte nicht geschäftsunfähig. Maßgeblich ist, ob der Wille frei gebildet werden kann. Dies hat der Bundesgerichtshof am 29.07.2020 entschieden.

Betreuung wider Willen

Die Entscheidung eines Mannes, sein Schicksal in die Hände seines Sohns zu legen, führte zu einem Rechtsstreit bis zum BGH. Aufgrund einer Erkrankung seines Gehirns hatten die geistigen Kräfte des Mannes nachgelassen, und er hatte 2015 einer Frau eine notarielle Generalvollmacht erteilt. 2018 übertrug er – ebenfalls durch notarielle Erklärung – diese Aufgabe auf seinen Sohn. Damit wollte sich die vormalige Bevollmächtigte nicht abfinden und regte beim AG Bremen-Blumenthal die Einrichtung einer Betreuung mit ihr als Betreuerin an. Sie errang lediglich einen Teilerfolg, da das Amtsgericht einen Berufsbetreuer bestellte. Eine wirksame Vollmacht für seinen Sohn habe der Vollmachtgeber 2018 nicht mehr erteilen können.

LG Bremen hebt Betreuung auf

Vor dem LG Bremen setzte sich der Vollmachtgeber durch – die Betreuung wurde aufgehoben. Die Sachverständige hatte zwar, wie zuvor beim Amtsgericht, eine Geschäftsunfähigkeit des Mannes für die Erteilung der Generalvollmacht 2018 angenommen. Er könne einfache Sachverhalte regeln, die weitreichenden Konsequenzen der Vollmachtserteilung aber nicht mehr überblicken. Das LG überzeugte jedoch die Aufspaltung der Geschäftsfähigkeit je nach Umfang der Sache nicht.

BGH: Wirksame Vollmacht

Der XII. Zivilsenat stellte sich hinter die Entscheidung des LG. Die Kritik der früheren Bevollmächtigten, das LG habe sich durch Abweichen vom Gutachten eigene medizinische Sachkunde angemaßt, wiesen die Karlsruher Richter zurück. Eine partielle Geschäftsunfähigkeit sei möglich, wenn bezogen auf ein bestimmtes Gebiet kein freier Wille mehr gebildet werden kann, so der BGH. Hier habe die Gutachterin aber zwischen wirksamen einfachen Geschäften (so einer Grundstücksübertragung) und der das Verständnis des Mannes übersteigenden Generalvollmacht unterschieden. Grundlage des Gutachtens sei damit eine rechtliche Fehlbewertung des Begriffs "Geschäftsfähigkeit" gewesen. Voraussetzung sei nicht, dass ein Mensch seine freie Entscheidung auch bis zu Ende überschauen können müsse. 

BGH, Beschluss vom 29.07.2020 - XII ZB 106/20

Redaktion beck-aktuell, 9. September 2020.