Keine Entpflichtung trotz schwerer Vorwürfe gegen Verteidiger

Eine sachgerechte Verteidigung ist jedenfalls in der Revision nicht dadurch ausgeschlossen, dass dem Pflichtverteidiger in der Urteilsbegründung vom Tatgericht eine Bereitschaft zur Zeugenbeeinflussung vorgeworfen wird. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Ablehnung eines Entpflichtungsantrags: Weder sei das Vertrauensverhältnis zum Angeklagten zerstört, noch hindere die Auffassung des Anwalts, sich selbst gegen die Vorwürfe verteidigen zu müssen, ihn an einer weiteren ordnungsgemäßen Vertretung.

Empörtes Gericht

In einem Verfahren wegen Kriegsverbrechen scheiterten die Anträge des Angeklagten und seines Pflichtverteidigers, diesen für die Revisionsinstanz von seinen Aufgaben zu entbinden. Zuvor hatte das Kammergericht den Mann wegen Kriegsverbrechen nach § 8 VStGB zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Im Urteil machte das Gericht seiner Wut auf den Anwalt Luft: Dessen Verhalten sah es als – "ihm in solcher Unverfrorenheit noch nicht untergekommenen" – Beleg dafür an, dass er bereit gewesen sei und zumindest zeitweise Erfolg gehabt habe, "missliebige Zeugenaussagen der Wahrheit zuwider und zugunsten der Angeklagten in einer mit der Rechtsordnung nach Auffassung des Senats nicht mehr zu vereinbarenden Weise zu manipulieren". Hintergrund war die Vermittlung eines Verteidigers für einen inhaftierten Zeugen. Der Pflichtverteidiger hatte dem Anwalt vor Übernahme des Mandats versichert, dass seine Wahlanwaltsgebühren bezahlt würden. Entsprechend glich er das Honorar des Kollegen überwiegend aus – exakt sieben Tage, nachdem der Angeklagte in einem anderen Verfahren nach dem BtMG, in dem der Zeuge ebenfalls aufgetreten war, freigesprochen worden war. Einen Grund, für die Revision einen neuen Rechtsanwalt beizuordnen, sah allerdings weder das KG noch der BGH.

Keine Entpflichtung

Der 3. Strafsenat stellt zunächst klar, dass die Vorgänge nicht erkennbar zu einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses geführt hatten. Das KG habe den Vorgang bereits in der Hauptverhandlung sowie im Urteil dargestellt, und der Angeklagte habe seinerzeit keinen neuen Vertreter verlangt. Die Karlsruher Richter betonten, dass es nicht auf das Selbstverständnis des sich nicht mehr als "unbefangen" sehenden Verteidigers ankommt. Wenn Konflikte zwischen Gericht und Verteidigung nicht die Unbefangenheit der Richter infrage stellten, gelte dies erst recht für die Arbeit des Anwalts – zumal in der auf eine Rechtskontrolle beschränkten Revision. Die Richter bremsten auch die Befürchtungen, dass Geheimnisse des Mandanten in einem Verfahren gegen den Verteidiger offenbart werden müssten: Bislang sei noch nicht einmal die Einleitung eines straf- oder berufsrechtlichen Verfahrens gegen den Juristen bekannt. Selbst wenn es dazu käme, entfiele die Verschwiegenheitspflicht nicht ohne Weiteres. Eine etwaige Beeinflussung eines Zeugen in einem anderen Verfahren spricht nach Ansicht des BGH auch nicht für einen Ausschluss nach § 138a Abs. 1 Nr. 3 StPO.

BGH, Beschluss vom 22.02.2022 - StB 2/22

Redaktion beck-aktuell; Michael Dollmann, Mitglied der NJW-Redaktion, 18. März 2022.