Keine Ausfallgebühr in medizinischer Praxis bei Corona-Verdacht

Wenn Eltern für ihr minderjähriges Kind einen Termin in einer medizinischen Praxis ausmachen, kommt der Vertrag zwischen ihnen und dem Therapeuten als Vertrag zugunsten des Kindes zustande. Wie der Bundesgerichtshof entschied, gilt das – jedenfalls bei kleinen Kindern – auch, wenn diese in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert sind. Trotzdem musste im konkreten Fall eine Mutter keine Ausfallpauschalen zahlen, da sie ihre Kinder wegen Corona-Symptomen nicht zur Behandlung gebracht hatte.

Nachts kam das Fieber

Im Jahr 2019 hatte eine Mutter ihren damals siebenjährigen Sohn und dessen fünfjährige Schwester zur Behandlung bei einer Ergotherapeutin angemeldet. Die Sitzungen sollten deren Konzentrationsfähigkeit fördern. Das Formular enthielt den Hinweis, dass vereinbarte Termine mindestens 24 Stunden vorher abgesagt werden müssten – sonst werde privat eine Ausfallpauschale von 25 Euro in Rechnung gestellt. Im März 2020 bekam der Junge in der Nacht Hals- und Kopfschmerzen sowie Fieber. Am Morgen rief die Mutter gegen 7.30 Uhr in der Praxis an und erklärte, dass sie die beiden für den Nachmittag vorgesehenen Termine der Kinder nicht wahrnehmen könne. Anschließend telefonierte sie mit ihrer Hausarztpraxis, die ihr wegen der Möglichkeit einer Corona-Erkrankung sogar nahelegte, dort erst einmal nicht vorbei zu kommen. Daraufhin verlangte die Ergotherapeutin zwei Ausfallgebühren, die die Mutter trotz mehrerer Mahnungen nicht zahlte.

Corona-Regeln verboten Behandlung

Im Gegensatz zum Amtsgericht Geldern und dem Landgericht Kleve wiesen die Bundesrichter nun die Forderung von 50 Euro ab. Der Behandlung habe ein auf der damaligen Coronaschutzverordnung beruhendes Verbot entgegengestanden. Daher habe die Therapeutin gar keine Leistung erbringen können und sei die Mutter also auch nicht in Annahmeverzug geraten (§ 297 BGB). Allerdings habe diese die Behandlungsverträge nicht als gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Kinder (§ 1629 Abs. 1 BGB), sondern zu deren Gunsten im eigenen Namen abgeschlossen (§ 328 Abs. 1 BGB). Das komme auch bei mitversicherten Familienangehörigen in der gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht, weil trotz der sozialrechtlichen Regelungen der Behandlungsanspruch privatrechtlicher Natur sei – so jedenfalls hier angesichts des jungen Alters der Patienten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Die Versichertengemeinschaft müsse schließlich nicht für Leistungsstörungen einstehen, "die in den Verantwortungsbereich des einzelnen Versicherten fallen", zitieren die Karlsruher Richter das Bundessozialgericht.

Vereinbarte Termine

Die verabredeten Behandlungstermine hielten sie auch für "kalendermäßig bestimmt", so dass die Therapeutin ihre Leistungen nicht nochmals ausdrücklich habe anbieten müssen (§ 296 S. 1 BGB). Allgemein wollte sich der III. Zivilsenat hier aber nicht festlegen. Ob das bei der Vereinbarung eines Behandlungstermins so sei, lasse sich nicht schematisch betrachten, schreibt er in einem seiner Leitsätze: "Vielmehr sind sämtliche Umstände des jeweiligen Falls, insbesondere die Interessenlage der Parteien und die Organisation der Terminvergabe durch den Behandelnden sowie deren Erkennbarkeit für die Patienten, zu berücksichtigen."

BGH, Urteil vom 12.05.2022 - III ZR 78/21

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Chefredaktion, 17. Juni 2022.