Keine Amtshaftung nach vertretbarem Aufnahmestopp für Pflegeheim

Zivilgerichte sind im Amtshaftungsprozess an rechtskräftige Entscheidungen von Verwaltungsgerichten gebunden. Sieht ein Gericht die Rechtsauffassung der Behörde allerdings als vertretbar an, kann es hieraus keinen Schuldvorwurf herleiten. Das hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 23.07.2020 entschieden.

Aufnahmestopp für Pflegeheim

Die Trägerin eines Pflegeheims verlangte vom Freistaat Thüringen Schadensersatz, weil ihr gegenüber ein Aufnahmestopp angeordnet worden war. Sie fand, ihr seien ein Gewinn von rund 442.000 Euro entgangen sowie Personalmehrkosten von rund 158.000 Euro entstanden. Verfügbar waren in der Einrichtung vom Juni 2011 bis April 2012 insgesamt 113 Plätze. Sie hatte mit den sozialrechtlichen Kostenträgern für die Zeit von November 2011 bis Dezember 2012 eine Pflegesatzvereinbarung abgeschlossen. Danach verpflichtete sich die Betreiberin, jederzeit ausreichend Personal zu beschäftigen. Bestandteil der Vereinbarung war der Strukturbogen über die Leistungs- und Qualitätsmerkmale nach § 84 Abs. 5 SGB XI (LQM). Dieser enthielt einen auf die Anzahl der vorhandenen Bewohner bezogenen Personalschlüssel. Das Land, vertreten durch das Landesverwaltungsamt (Heimaufsicht), untersagte die Aufnahme neuer Bewohner über eine Kapazität von 77 Plätzen hinaus, weil die personelle Besetzung nach dem Schlüssel unzureichend sei. Von Juli 2012 bis März 2013 passte die Heimaufsicht die Kapazitätsgrenze der jeweils aktuellen Personalausstattung mit neuen Bescheiden an. Die dagegen von dem Unternehmen eingereichte Klage war vor dem Verwaltungsgericht Weimar erfolgreich: Die Berechnung des notwendigen Personalbedarfs sei rechtswidrig gewesen.

Klage gegen das Land

Daraufhin ging die Trägerin gegen das Land vor. Das LG Erfurt erklärte den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt. Die Berufung des Freistaats hatte vor dem Thüringer OLG keinen Erfolg: Der Anspruch auf Schadensersatz aus Amtshaftung sei nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG dem Grunde nach gerechtfertigt. Die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide stehe auf Grund des verwaltungsgerichtlichen Urteils fest. Die Heimaufsicht hätte bei der Berechnung die Pflegestufenverteilung berücksichtigen müssen, so der Vorwurf aus Jena.

BGH: Pflegesatzvereinbarung bindend

Das sah der BGH anders. Zwar habe das VG Weimar tatsächlich die Rechtswidrigkeit bindend festgestellt. Aus Sicht der Karlsruher Richter waren die beanstandeten Maßnahmen der Heimaufsicht aber rechtlich vertretbar. Danach hätten die Bediensteten nicht schuldhaft gehandelt. Die von der Heimaufsicht vertretene und mit der Pflegekasse zusätzlich abgestimmte Rechtsauffassung habe auf sachlichen, vernünftigen Erwägungen beruht, und sei insgesamt praxisgerechter gewesen als die vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegte Ansicht. Das Heim war, so der BGH, an die Vorgaben der Pflegesatzvereinbarung und der Leistungs- und Qualitätsmerkmale gebunden. Aus Sicht des Senats war es vertretbar, dass die Bediensteten in den Bescheiden bei der Berechnung der höchstzulässigen Bewohnerzahl etwaige Veränderungen der Bewohnerstruktur nach Pflegestufen nicht berücksichtigten. Die Bindungswirkung der Pflegesatzvereinbarung entfalle erst, wenn es auf Verlangen einer Vertragspartei zu einer Neuverhandlung der Pflegesätze nach § 85 Abs. 7 SGB XI komme.

BGH, Urteil vom 23.07.2020 - III ZR 66/19

Redaktion beck-aktuell, 7. August 2020.