Kein Unterlassungsanspruch für Anwohner bei Verstößen gegen Lkw-Durchfahrtsverbot
lkw-durchfahrtverbot_CR_BerndWeissbrod_dpa
© BerndWeißbrod / dpa
lkw-durchfahrtverbot_CR_BerndWeissbrod_dpa

Anwohner haben keinen Unterlassungsanspruch bei Verstößen gegen das nach dem Luftreinhalteplan der Landeshauptstadt Stuttgart bestimmte Lkw-Durchfahrtsverbot. Der Bundesgerichtshof hat heute entschieden, dass das auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG in Verbindung mit dem Luftreinehalteplan angeordnete Durchfahrtsverbot kein Schutzgesetz im Sinn des § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der einzelnen Anwohner innerhalb der Durchfahrtsverbotszone ist.

Unterlassungsklage gegen Spedition erfolglos in allen Instanzen

Die Kläger sind Eigentümer von innerhalb der Stuttgarter Umwelt- und Lkw-Durchfahrtsverbotszone gelegenen Grundstücken an bzw. in unmittelbarer Nähe der H. Straße. Sie machen geltend, die Beklagte, die eine Spedition betreibt, verstoße mehrmals täglich gegen das Durchfahrtsverbot, indem sie das Gebiet mit Lkw befahre. Die Kläger nahmen die Spedition unter Berufung auf die mit der Feinstaub- und Stickoxidbelastung verbundene Gesundheitsgefährdung auf Unterlassung des Befahrens der H. Straße in Anspruch. Sie blieben in allen Instanzen erfolglos. Der BGH stellte fest, dass sich die Kläger nicht gegen die Beurteilung des Landgerichts wenden, wonach sich das Unterlassungsbegehren nicht auf § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB aufgrund einer Gesundheitsverletzung stützen lässt. Diese Beurteilung sei rechtlich auch nicht zu beanstanden. Ferner nähmen die Kläger die Annahme des Landgerichts hin, dass der Beklagten auf der Grundlage des klägerischen Vortrags keine wesentliche Beeinträchtigung der Benutzung der klägerischen Grundstücke im Sinne des § 906 BGB zuzurechnen ist. Damit scheide ein auf die Eigentümerstellung der Kläger gestützter Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 906 BGB aus.

Verletzung eines Schutzgesetzes verneint

Des weiteren stellte der BGH klar, dass ein Unterlassungsanspruch analog § 823 Abs. 2 i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes den Klägern auch bei einem unterstellten Verstoß von Mitarbeitern der Beklagten gegen das Lkw-Durchfahrtsverbot nicht zustehe. Denn das auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG in Verbindung mit dem Luftreinehalteplan für die Landeshauptstadt Stuttgart angeordnete Durchfahrtsverbot sei kein Schutzgesetz im Sinn des § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der einzelnen Anwohner innerhalb der Durchfahrtsverbotszone, das es diesen ermöglicht, dem Verbot Zuwiderhandelnde zivilrechtlich auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen. Eine Rechtsnorm ist laut BGH ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes oder eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen. Dafür komme es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt, Zweck und Entstehungsgeschichte des Gesetzes an, also darauf, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt habe.

Kläger nur als Teil der Allgemeinheit begünstigt

Es reiche nicht aus, so der BGH weiter, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als Reflex objektiv erreicht werden könne. Er müsse vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Im Streitfall werde das Lkw-Durchfahrtsverbot nicht für bestimmte Straßen zur Reduzierung der die dortigen Anlieger beeinträchtigenden Schadstoffkonzentrationen, sondern grundsätzlich für das gesamte Stadtgebiet angeordnet, um allgemein die Luftqualität zu verbessern und der Überschreitung von Immissionsgrenzwerten entgegenzuwirken. Die Kläger seien insoweit nur als Teil der Allgemeinheit begünstigt. Bereits dies spreche gegen die Annahme, ein Schutz von Einzelinteressen in der von den Klägern begehrten Weise sei Intention des streitgegenständlichen Lkw-Durchfahrtsverbots.

Kein individuell deliktischer Unterlassungsanspruch

Unter dem potentiell drittschützenden Aspekt des Gesundheitsschutzes komme auch ein Unterlassungsanspruch des Einzelnen hinsichtlich des Befahrens der gesamten Verbotszone nicht in Betracht, heißt es im Urteil weiter. Denn schon angesichts der Größe der Verbotszone könne nicht angenommen werden, dass die an einer beliebigen Stelle der Verbotszone durch Kraftfahrzeuge verursachten Immissionen für jeden Anlieger innerhalb dieser Zone die unmittelbare Gefahr einer Überschreitung der Immissionsgrenzwerte an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort und damit eine potentielle Gesundheitsbeeinträchtigung verursachen. Im Ergebnis lässt sich dem BGH zufolge im Streitfall kein Personenkreis bestimmen, der durch das Lkw-Durchfahrtsverbot seinem Zweck entsprechend im Wege der Einräumung eines individuellen deliktischen Unterlassungsanspruchs bei Verstößen gegen das Verbot geschützt werden sollte. Es sei nichts ersichtlich dafür, dass § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG i.V.m. der streitgegenständlichen Planmaßnahme einen Anspruch auf Normvollzug zwischen einzelnen Bürgern begründen wolle.

BGH, Urteil vom 14.06.2022 - VI ZR 110/21

Gitta Kharraz, 14. Juni 2022.