Kein rückwirkend befristetes Anerkenntnis bei beendeter Berufsunfähigkeit

Ein Ver­si­che­rer kann in der Be­rufs­un­fä­hig­keits­ver­si­che­rung rück­wir­kend kein zeit­lich be­fris­te­tes An­er­kennt­nis für eine frü­he­re Be­rufs­un­fä­hig­keit ab­ge­ben. Der An­er­kennt­nis­zeit­raum darf laut Bun­des­ge­richts­hof nur in die Zu­kunft ge­rich­tet sein. An­dern­falls um­ge­he der Ver­si­che­rer die Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen.

Medizinische Fachangestellte mit Bandscheibenvorfall

Eine Versicherte verlangte von ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung weitere Leistungen sowie Beitragsrückerstattungen von rund 40.000 Euro. Laut 2.5.3. der "Allgemeine[n] Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung" kann der Versicherer in begründeten Einzelfällen „[...] einmalig ein zeitlich begrenztes Anerkenntnis bis zu 12 Monaten [...] aussprechen“. Nachdem die Frau Anfang 2013 einen Bandscheibenvorfall erlitten hatte, stellte sie im Juli 2015 einen Antrag auf Berufsunfähigkeitsleistungen. Daraufhin besorgte sich der Versicherer ihren Arztbericht vom Mai 2016, den Entlassungsbericht des Krankenhauses vom Juni 2015 sowie den der Rehaklinik vom Februar 2016. Ein von ihr beauftragter Sachverständiger stellte eine von Juli 2015 bis Februar 2016 bestehende Berufsunfähigkeit fest. Die Assekuranz erkannte im Oktober 2016 ihre Leistungspflicht befristet für diesen Zeitraum mit der Begründung an, dass gemäß dem von ihr eingeholten fachorthopädischen Gutachten ab März 2016 wieder ein volles Leistungsvermögen in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit vorliege. Die Genesene war seitdem wieder als medizinische Fachangestellte in Vollzeit tätig. Die Klage scheiterte sowohl beim LG Potsdam als auch beim OLG Brandenburg, da die bedingungsgemäßen Voraussetzungen für eine Befristung des Anerkenntnisses zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung gegeben gewesen seien. Die Revision beim BGH hatte vorerst Erfolg.

Befristung muss in die Zukunft gerichtet sein

Dem IV. Zivilsenat zufolge hat das OLG zu Unrecht die von der Beklagten ausgesprochene Befristung ihres Anerkenntnisses für einen zurückliegenden Zeitraum für wirksam gehalten. Ein solcher Inhalt der Klausel würde entgegen § 175 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 173 Abs. 2 Satz 1 VVG abweichen. Die § 173 Abs. 2 Satz 1 VVG zugrunde liegende Situation der Unsicherheit, die eine vorläufige Regelung erforderlich mache, liege aber nur für einen in die Zukunft reichenden Anerkenntniszeitraum vor. Dieser Zweck erlaube daher nur eine (auch) in die Zukunft gerichtete Befristung. Laut BGH ist das Versicherungsunternehmen selbst dann, wenn es kein Leistungsanerkenntnis abgegeben hat, bei Wegfall der zunächst eingetretenen Berufsunfähigkeit an die eine Leistungseinstellung regelnden Versicherungsbedingungen gebunden. Diese könne es nicht umgehen, indem es nach Wegfall der Berufsunfähigkeit ein rückwirkend befristetes Anerkenntnis abgebe. Das Anerkenntnis der Beklagten vom Oktober 2016 gelte daher als unbefristet abgegeben. Die Beendigung der Leistungspflicht richte sich damit nach den Regeln des Nachprüfungsverfahrens. Der BGH erteilte den Hinweis, dass sich das OLG bislang nicht mit der Höhe der zu gewährenden Leistungen und dem Verzugsbeginn sowie der vertraglichen Ausgestaltung der Überschussbeteiligung befasst habe. Er verwies die Sache daher dorthin zurück.

BGH, Urteil vom 23.02.2022 - IV ZR 101/20

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. jur. Joachim Jahn, Mitglied der NJW-Schriftleitung, 14. März 2022.