Kein Ausreisegewahrsam ohne Ermessensausübung

Will ein Gericht den Ausreisegewahrsam anordnen, muss es die Lebensumstände des Ausländers erfragen und bei seiner Entscheidung berücksichtigen. Übt es sein Ermessen nicht aus, ist die Anordnung dem Bundesgerichtshof zufolge rechtswidrig und verletzt den Untergebrachten in seinem Freiheitsgrundrecht.

Abschiebung eines afghanischen Staatsangehörigen

Ein junger Mann aus Afghanistan reiste 2015 nach Deutschland ein und beantragte erfolglos Asyl. Nachdem er trotz Aufforderung die Bundesrepublik nicht verlassen hatte, bereitete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seine Abschiebung vor. 2019 hatte es alle notwendigen Papiere dafür beisammen und beantragte Ausreisegewahrsam für ihn. Noch am selben Tag folgte das Amtsgericht Mosbach dem Antrag - der junge Mann wurde erst in das Abschiebungsgefängnis Pforzheim verbracht und wenige Tage später abgeschoben. Er trat der Entscheidung entgegen und verlangte nunmehr die Feststellung des Gerichts, dass die Verhängung des Gewahrsams rechtswidrig gewesen sei und ihn in seinen Rechten verletzt habe. Das Landgericht Mosbach gab ihm zunächst Recht, wies aber auf Intervention der Behörde hin seine Beschwerde zurück - vor dem Bundesgerichtshof aber hatte er Erfolg.

Keine Ermessensausübung

Der XIII. Zivilsenat hob den Beschluss des Landgerichts auf, weil die Anordnung des Gewahrsams rechtswidrig war: Das Amtsgericht habe nur die Voraussetzungen des § 62b AufenthG geprüft, es aber versäumt, sein Anordnungsermessen auszuüben. Ohne eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der zügigen Abschiebung und dem Freiheitsgrundrecht des Ausreisepflichtigen sei die Entscheidung rechtswidrig. Der Ausreisegewahrsam unterscheide sich darin von der Sicherungshaft. Da die Vorschrift laut den Karlsruher Richtern eine Berücksichtigung der persönlichen Umstände erfordert, hätte der afghanische Bürger vorher angehört werden müssen. Die Entscheidung des XIII. Zivilsenats beschäftigt sich auch mit weiteren Argumenten rund um die Anwendung des § 62b AufenthG, wie der Zulässigkeit der Unterbringung in einer Abschiebehafteinrichtung.

BGH, Beschluss vom 23.02.2021 - XIII ZB 50/20

Redaktion beck-aktuell, 12. Mai 2021.