Kein Arglistvorwurf gegen VW mehr bei Pkw-Kauf nach Bekanntwerden des "Dieselskandals"
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Der Käufer eines gebrauchten VW-Diesels, der sein Fahrzeug erst nach Bekanntwerden des Abgasskandals gekauft hat, hat laut Bundesgerichtshof keinen Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller. Der dafür notwendige Arglistvorwurf greife dann nicht mehr, selbst wenn das aufgespielte Software-Update zu erhöhtem Kraftstoffverbrauch und Verschleiß führe oder ein sogenanntes "Thermofenster" enthalte.

Kläger erwarb gebrauchten VW mit manipulierter Abgastechnik nach Bekanntwerden des Dieselskandals

Der Kläger erwarb im September 2016 einen gebrauchten VW Tiguan 2.0 TDI, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Der Motor war mit einer Software versehen, die erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand im Testbetrieb befindet, und in diesem Fall in einen Stickoxid-optimierten Modus schaltet. Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur auf dem Prüfstand eingehalten. Vor dem Erwerb des Fahrzeugs hatte die Beklagte in einer Ad-hoc-Mitteilung die Öffentlichkeit über Unregelmäßigkeiten der Software bei Dieselmotoren vom Typ EA189 informiert und mitgeteilt, dass sie daran arbeite, die Abweichungen zwischen Prüfstandwerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und dass sie hierzu mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Kontakt stehe.

Nach Software-Update: Kläger hält "Thermofenster" für sittenwidrig

Das KBA wertete die Programmierung als unzulässige Abschalteinrichtung und verpflichtete die Beklagte, die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge durch geeignete Maßnahmen wiederherzustellen. In der Folge stellte die Beklagte bei Fahrzeugen mit dem betroffenen Motortyp ein Software-Update bereit, das im Dezember 2016 auch bei dem Fahrzeug des Klägers aufgespielt wurde. Der Kläger behauptet, dass mit dem Software-Update eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines "Thermofensters" implementiert worden sei. Außerdem habe das Update negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß des Fahrzeugs. Der Kläger verlangte von der Beklagten im Wesentlichen die Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs. Nachdem die Klage in den Instanzen erfolglos war, legte er Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein.

BGH verneint Schadensersatzansprüche

Der Bundesgerichtshof hat die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen. Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu. Für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als sittenwidrig im Sinn von § 826 BGB sei in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln und das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Dies werde insbesondere dann bedeutsam, wenn – wie hier - die erste potenziell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinanderfallen und der Schädiger sein Verhalten zwischenzeitlich nach außen erkennbar geändert habe.

Verhaltensumkehr bei VW

Durch die vom Berufungsgericht festgestellte Verhaltensänderung der Beklagten seien wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber dem Kläger nicht mehr gerechtfertigt wäre. Dies gelte auch, wenn die Behauptung des Klägers als zutreffend zugrunde gelegt werde, mit dem Software-Update sei eine neue unzulässige Abschaltvorrichtung in Form eines Thermofensters implementiert worden, die die Abgasrückführung bei Außentemperaturen unter 15 und über 33 Grad Celsius deutlich reduziere.

Einbau des “Thermofensters“ nicht sittenwidrig

Der darin liegende - unterstellte - Gesetzesverstoß reiche in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Applikation eines solchen Thermofensters sei nicht mit der Verwendung der Prüfstanderkennungssoftware zu vergleichen, die die Beklagte zunächst zum Einsatz gebracht hatte. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems sei nicht von vornherein durch Arglist geprägt. Sie führe nicht dazu, dass bei erkanntem Prüfstandbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und der Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert werde, sondern arbeite in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise.

Keine besondere Verwerflichkeit feststellbar

Bei dieser Sachlage hätte sich die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten durch die Implementation des Thermofensters nur dann fortgesetzt, wenn zu dem - unterstellten - Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies würde jedenfalls voraussetzen, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten. Anhaltspunkte hierfür seien aber nicht gegeben.

Erhöhter Kraftstoffverbrauch und Verschleiß begründen keine Arglist

Es wäre insbesondere nicht dargetan, dass die Beklagte das KBA im Zusammenhang mit der Entwicklung und Genehmigung des Software-Updates arglistig getäuscht haben könnte. Eine abweichende Beurteilung sei auch nicht deshalb geboten, weil das von der Beklagten entwickelte Software-Update nach der - unterstellten - Behauptung des Klägers negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß der betroffenen Fahrzeuge habe. Dieser Umstand führe in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht dazu, dass das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu werten wäre.

BGH, Beschluss vom 09.03.2021 - VI ZR 889/20

Redaktion beck-aktuell, 11. März 2021.