Kartellanten müssen vielleicht doch Schadensersatz für Schlecker-Pleite zahlen
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© Julian Stratenschulte / dpa

Wenn "Kartellbrüder" untereinander geheime Informationen über ihre Preisgestaltung gegenüber einem gemeinsamen Abnehmer austauschen, ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dieser am Ende zu viel bezahlt hat. Das hat der Bundesgerichtshof heute entschieden und damit ein Urteil des OLG Frankfurt a. M. aufgehoben, das Schadensersatzansprüche des Insolvenzverwalters der Drogeriemarktkette Schlecker abgewiesen hatte. Einem solchen Erfahrungssatz stehe auch nicht entgegen, dass es auf die Umstände des Einzelfalls ankomme.

Pleite einer großen Drogeriekette

Mit mehr als 5.000 Filialen waren die Geschäfte der Drogeriekette Schlecker kaum aus dem Stadtbild wegzudenken. Doch im März vor zehn Jahren mussten zunächst rund 2.200 davon schließen, und schon Ende Juni war der zeitweilige Marktführer dieser Branche in Deutschland pleite. Haftstrafen für Mitglieder der Eigentümerfamilie folgten, und Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz versucht seither, für die Gläubiger zu retten, was noch zu holen ist. Sein auch vom Bundeskartellamt längst mit Bestandskraft bestätigter Vorwurf: 15 Hersteller beispielsweise von Geschirrspülmitteln, Zahncremes und Duschgels hätten sich zu einem Kartell zusammengeschlossen und jahrelang untereinander Informationen ausgetauscht, um die geforderten Preise zu drücken. Was dann vielerlei Namen trug – etwa Rabatte, Skonti, Rück- und sonstige Vergütungen, Werbeaktionen oder Werbekostenzuschüsse. Dadurch habe Schlecker beim Einkauf zu viel bezahlt und einen Schaden von mindestens 212 Millionen Euro erlitten, meint Geiwitz in seiner "Follow-on-Klage" zu dem Vorgehen der Behörde. Wohingegen das LG Frankfurt a. M. und das dortige OLG keinen mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellbaren Schaden erkannten, allerdings auch kein eigenes Gutachten einholten. 

Austausch von Geheiminformationen

Für den BGH war nun weder die Nichteinholung eines Gerichtsgutachtens noch der in solchen Fällen gebräuchliche "Passing-on-Einwand" von Beklagten maßgeblich, demzufolge Schlecker ohnehin seine womöglich überhöhten Preise habe weiterwälzen können – sei es auf eigene Tochtergesellschaften oder auf seine Endkunden. Vielmehr unterstreichen die Karlsruher Richter: Ein "kartellrechtswidriger Austausch zwischen Wettbewerbern über geheime Informationen, die das aktuelle oder geplante Preissetzungsverhalten gegenüber einem gemeinsamen Abnehmer zum Gegenstand haben", begründe den Erfahrungssatz, "dass die danach erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die Wettbewerbsbeschränkung gebildet hätten". Weiter schreiben sie in ihrer Pressemitteilung: "Betreffen geheime Informationen aktuelles oder geplantes Preissetzungsverhalten, besteht eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass die an dem Informationsaustausch beteiligten Wettbewerber gemeinsam ein höheres Preisniveau erreichen." Und der Annahme eines solchen Erfahrungssatzes stehe auch nicht entgegen, dass die Wirkungen eines solchen Informationsaustauschs von den Umständen des Einzelfalls – wie etwa den auf dem betreffenden Markt herrschenden Bedingungen, dessen Struktur sowie dem mit dem Informationsaustausch verfolgten Zweck – abhängen.

Starke Indizwirkung auch beim Drogeriekartell

Daraus ergibt sich der Rüffel des BGH-Kartellsenats für die Richter aus der Mainmetropole. Jene Umstände seien vielmehr im Rahmen der Gesamtwürdigung vom Tatrichter auf etwaige Indizien zu prüfen, die im konkreten Fall den Erfahrungssatz, dem regelmäßig eine starke Indizwirkung zukomme, bestätigen oder entkräften. "Dieser Erfahrungssatz gilt auch für das Drogeriekartell, soweit der Informationsaustausch Listenpreiserhöhungen und die Verhandlungen über von Schlecker geforderte Rabatte und Sonderbedingungen zum Gegenstand hatte", stellt er klar. Das OLG habe zwar einen entsprechenden Erfahrungssatz unterstellt, ihm jedoch ein zu geringes Gewicht beigemessen. Das Karlsruher Fazit: Die Annahme der Vorinstanz, sie könne sich keine Überzeugung von einem Schaden Schleckers bilden, habe auf einer fehlerhaften Gesamtwürdigung der maßgeblichen Umstände beruht. Weshalb die Bundesrichter das Frankfurter Berufungsurteil nun aufhoben und die Akten zur neuerlichen Bearbeitung in die Bankenstadt zurückschicken werden.

BGH, Urteil vom 29.11.2022 - KZR 42/20

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 29. November 2022.