Kamikazeunfall ist kein Mord

Wer in Selbsttötungsabsicht einen schweren Autounfall verursacht, ist nicht zwangsläufig wegen versuchten Mordes zu verurteilen. Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Generalbundesanwaltschaft in einem Fall zurückgewiesen, in dem ein alkoholisierter Autofahrer sich umbringen wollte, indem er mit 120 km/h in eine Kreuzung raste.

Nicht erfolgreiche Selbsttötung per Verkehrsunfall

Ein Mann, der im Jahr 2019 sein Leben als zunehmend aussichtslos empfand, fasste auf einer Trunkenheitsfahrt den Entschluss, Selbstmord zu begehen. Er fuhr nicht angeschnallt und ohne Vorfahrtberechtigung mit 120 km/h in eine Kreuzung ein. Dabei war es ihm gleichgültig, ob eine weitere Person verletzt werden könnte. Er kollidierte mit einem Kleintransporter, dessen Fahrerin Prellungen und Schnittwunden davontrug. Das Landgericht Verden bewertete sein Verhalten als versuchten Totschlag in Tateinheit unter anderem mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren. Der Angeklagte wehrte sich gegen die Verurteilung wegen Totschlags, und die Staatsanwaltschaft forderte vom Bundesgerichtshof die Bewertung der Tat als Mord. Beides lehnte dieser ab.

Versuchter Totschlag

Die Würdigung des Tatgeschehens durch das Landgericht als versuchter Totschlag ist dem 4. Strafsenat zufolge nicht zu beanstanden: Das Ziel des Täters sei zwar gewesen, sich selbst umzubringen. Dabei habe er aber billigend in Kauf genommen, dass ein Beteiligter zu Tode komme. Wörtlich habe er den Erstversorgern am Unfallort gesagt, es sei ihm "egal" gewesen, dass eine andere Person getroffen worden sei. Zum Zeitpunkt der Tat war dem Angeklagten den Karlsruhern Richter zufolge bewusst, dass er mit der Missachtung der Vorfahrt und mit dieser hohen Geschwindigkeit das Leben anderer Verkehrsteilnehmer gefährdete.

Aber keine Verwirklichung von Mordmerkmalen

Entgegen der Ansicht der Generalbundesanwaltschaft habe der Täter jedoch nicht heimtückisch gehandelt: Ein absichtliches Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit der Verletzten sei nicht erkennbar gewesen. Insbesondere die Spontaneität des Entschlusses und die psychische Verfassung sprechen laut BGH für das Fehlen dieses spezifischen Bewusstseins. Die Bewertung des Landgerichts, er habe den Entschluss in starker affektiver Erregung und noch dazu stark alkoholisiert getroffen, ohne sich einer Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit bewusst zu sein, sei deshalb nicht zu beanstanden.

Keine vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung

Der 4. Strafsenat bemängelte aber die Verurteilung wegen § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB: Die Feststellungen des Landgerichts belegten nicht, dass es die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des suizidalen Autofahrers war, die die Geschädigte gefährdet habe. Vielmehr habe der Entschluss zur Selbsttötung zu dem Zusammenstoß geführt. Die Verurteilung nach dieser Vorschrift habe demnach keinen Bestand. Neben dem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315 b StGB sei nur die vorsätzliche Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB gegeben. Die Karlsruher Richter änderten den Schuldspruch dahingehend, ließen aber den Strafausspruch bestehen.

BGH, Urteil vom 04.02.2021 - 4 StR 403/20

Redaktion beck-aktuell, 2. März 2021.