BGH: Verbraucherverbände können keine Rückzahlungen an Verbraucher verlangen
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Können Verbraucherverbände von Unternehmen verlangen, dass diese unberechtigt erhaltene Geldbeträge an ihre Kunden zurückzahlen? Dieser hoch umstrittenen Frage hat sich am Mittwoch der BGH angenommen. Jörg Fritzsche ordnet die Entscheidung ein.

Manche Unternehmen sehen in ihren AGB über den eigentlichen Preis hinaus weitere Zahlungen vor, die ihre Vertragspartnerinnen und -partner an sie erbringen sollen. Solche Entgeltklauseln in AGB sind nach der Rechtsprechung des BGH häufig nach den §§ 307 ff. BGB unwirksam, weil sie mit dem jeweiligen Vertragstyp unvereinbar sind, bzw. es um zusätzliche Vergütungen für die Leistung des Unternehmens geht. Der Unternehmer versteckt gewissermaßen einen Teil des Preises für seine Leistung in seinen AGB als Zusatzentgelte ("Gebühren").

In den letzten Jahren erregten solche unzulässigen Gebühren bzw. Entgeltklauseln vor allem bei Banken Aufsehen und wurden von der Rechtsprechung verboten. Der Fall, der nun zum BGH gelangte, liegt etwas anders: Zum einen ging es um einen Konzertveranstalter, und zum anderen um eine sogenannte "Payout-Fee" von 2,50 Euro. Der Veranstalter setzte auf einem Festival ein sogenanntes "Cashless-Armband" ein, das die Besucherinnen und Besucher mit Geld aufladen konnten, um auf dem Gelände Essen und Getränke zu kaufen. Ein am Ende verbliebenes Guthaben konnten sie sich zwar zurücküberweisen lassen, doch fiel dafür die besagte "Payout-Fee" an. Der Veranstalter gab auf die Abmahnung des später klagenden Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) hin zwar eine Unterlassungserklärung in Bezug auf die Rückzahlungsgebühr ab, folgte aber nicht der Aufforderung, diese zurückzuerstatten. Der vzbz klagte, blieb jedoch nun vor dem BGH erfolglos (Urteil vom 11.09.2024 - I ZR 168/23).

Bedürfnis nach kollektivem Rechtsschutz

Natürlich kann in einer solchen Situation jeder Einzelne die ohne Rechtsgrund geleistete Zahlung nach § 812 BGB zurückfordern, doch tun dies viele nicht, sei es aus Unwissen, aus Bequemlichkeit, oder weil ihnen Aufwand und Kostenrisiko einer Rückforderung bei einem Betrag von 2,50 Euro zu hoch sind. Gerade deshalb besteht ein Bedürfnis nach kollektivem Rechtsschutz durch Verbände, damit Zahlungen nicht bei den Unternehmen verbleiben, selbst wenn (höchst-)richterlich geklärt ist, dass sie ohne rechtliche Grundlage gefordert wurden. So wurde bereits im Jahr 2004 in § 10 UWG ein Gewinnabschöpfungsanspruch für Verbände geschaffen.

Verbraucherschützerinnen und -schützer haben in den letzten Jahren, mit unterschiedlichem Erfolg bei den Instanzgerichten, versucht, Unternehmen mithilfe des Beseitigungsanspruchs aus § 8 Abs. 1 S. 1 UWG zur Rückzahlung von zu Unrecht erhobenen Beträgen an die einzelnen Verbraucherinnen und Verbraucher zu verpflichten. Diese Anspruchsgrundlage musste deshalb gewählt werden, weil das Unterlassungsklagengesetz (UKlaG), das Verbänden ebenfalls zur Verfügung steht, einen Beseitigungsanspruch zwar bei (sonstigen) Verstößen gegen Verbraucherschutzgesetze kennt, aber bei der Verwendung unzulässiger AGB gerade nicht. Der BGH hatte schon früher bestätigt, dass es im UKlaG insoweit auch keinen ungeschriebenen Beseitigungsanspruch gibt, den Verbänden insofern aber der Beseitigungsanspruch aus § 8 Abs. 1 S. 1 UWG zur Verfügung steht.

Daher wählte der vzbv also den Weg über § 8 Abs. 1 S. 1 UWG, um eine Rückzahlung zu erwirken. Dieser gesetzliche Beseitigungsanspruch ist ein Pendant zum altbekannten § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB, mit der Eigentümer von einem Störer die Beseitigung fortdauernder Beeinträchtigungen verlangen können. Im UWG dient der Anspruch naturgemäß der Beseitigung von fortdauernden Störungen aus Verstößen gegen Verhaltensverbote. Er kann von Mitbewerbern (oder auch Verbänden) genutzt werden, um Störungen abzustellen. Ein anschauliches Beispiel bildet eine irreführende Werbung auf einer Webseite. Solange diese Werbung abrufbar bleibt, kann sie weitere Lesende zu nicht sinnvollen geschäftlichen Entscheidungen verleiten. Die Quelle der Irreführungsgefahr besteht also fort und ihre Beseitigung kann verlangt werden.

"Folgenbeseitigung" über das UWG trotz anderer Instrumente?

Auf den ersten Blick ist die Situation in unserer Konstellation ähnlich. Es hat jedenfalls ein unlauteres Verhalten stattgefunden und der Verstoß beeinträchtigt die Interessen von Verbrauchern spürbar. Aber dauert der Zustand auch noch an, wenn das Unternehmen die AGB nicht mehr verwendet und sich auch nicht mehr auf sie beruft, nachdem ihm dies verboten worden ist? Reicht es dazu mit anderen Worten aus, dass es früher einen unlauteren Zustand gab und sich dessen Folgen heute noch darin manifestieren, dass das Unternehmen die Zahlung von den Verbrauchern erhalten und nicht freiwillig zurückgezahlt hat?

Im Schrifttum ist die Frage mit dem sonst eher aus dem öffentlichen Recht bekannten Begriff des Folgenbeseitigungsanspruchs diskutiert worden. Nun ist aber, wie der Begriff schon nahelegt, ein solcher Anspruch darauf gerichtet, die Folgen eines unzulässigen Verhaltens zu beseitigen, während zivilrechtliche Beseitigungsansprüche, wie der aus § 8 UWG, darauf abzielen, die Störung selbst zu beenden. Weitere nachteilige Folgen sind dann eher etwas für den Schadensersatz, den es heute bei UWG-Verstößen nach § 9 Abs. 2 UWG auch für Verbraucherinnen und Verbraucher gibt. Der Ausgangsfall spielte allerdings vor dem Inkrafttreten dieser Norm am 28.05.2022. Vor diesem Hintergrund war es bis zur heutigen Entscheidung sehr umstritten, ob Verbände (und andere Anspruchsberechtigte) über § 8 UWG die Rückzahlung unberechtigt geforderter und erhaltener Zahlungen an Verbraucherinnen und Verbraucher verlangen können.

Für die Beantwortung der Frage spielt auch eine Rolle, dass in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2020/1828 seit 13.10.2023 das Verbraucherrechte-Durchsetzungsgesetz (VDuG) in Kraft ist. In §§ 14 ff. VDuG ist seitdem die sogenannte Abhilfeklage geregelt, die von den Verbänden des UKlaG erhoben werden kann. Der Wortlaut des § 14 VDuG lautet: "Mit der Abhilfeklage begehrt die klageberechtigte Stelle die Verurteilung des Unternehmers zu einer Leistung an die betroffenen Verbraucher. Als Leistung kann auch die Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrags begehrt werden." Satz 1 beschreibt also genau das, was der im BGH-Fall klagende Verband erreichen wollte.

BGH: Gesamtkonzept des Gesetzgebers würde unterlaufen

Der BGH hat nun entschieden, dass die Vorinstanzen einen solchen Anspruch zu Recht verneint haben. Mit dem wettbewerbsrechtlichen Beseitigungsanspruch kann vom Unternehmen keine Rückzahlung an seine Kundinnen und Kunden verlangt werden. Ein solcher Anspruch steht nach Ansicht des I. Zivilsenats im heutigen Recht mit der Systematik des kollektiven Rechtsschutzes nicht im Einklang. Dafür führt der Senat zum einen an, dass der Gesetzgeber in § 10 UWG den verschuldensabhängigen Gewinnabschöpfungsanspruch zugunsten des Bundeshaushalts und darüber hinaus den ebenfalls verschuldensabhängigen Verbraucherschadensersatz (§ 9 Abs. 2 UWG) vorgesehen hat. Zum anderen habe der Gesetzgeber im Jahr 2023 durch das VDuG die bereits genannte Abhilfeklage eingeführt. Daraus ergibt sich nach Meinung des BGH ein (Gesamt-) Konzept des kollektiven Rechtsschutzes, das durch einen aus § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 UWG abgeleiteten verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruch von Verbraucherverbänden unterlaufen würde.

Die Folgen für die Praxis liegen auf der Hand: Verbraucherverbände sollen sich des speziellen Instrumentariums bedienen, dass der Gesetzgeber in mehreren Schritten etabliert hat, also entweder auf den verschuldensabhängigen Gewinnabschöpfungsanspruch des § 10 UWG oder die Abhilfeklage nach § 14 VDuG zurückgreifen. Da abgeschöpfte Gewinne in den Bundeshaushalt fließen, haben die einzelnen Verbraucherinnen und Verbraucher von der Abhilfeklage mehr.

Für Verbände, Unternehmen und Gerichte ist die Abhilfeklage angesichts der komplizierten und langwierigen Prozedur, die sich dafür aus den §§ 15 ff. VDuG ergibt, sicherlich mit einem maximalen Aufwand verbunden. Aber der EU-Gesetzgeber hat dieses Verfahren erdacht, der Bundestag hat es ins nationale Recht eingeführt, und der Sinn und Zweck dieses prozessualen Instruments liegt nun einmal genau in dem, was der bis zum BGH klagende Verband über § 8 UWG erreichen wollte. Die Erwägungen des BGH zur Systematik der kollektiven Durchsetzung von Verbraucherrechten und ihres Vorrangs vor dem allgemeinen Beseitigungsanspruch sind somit gut nachvollziehbar. Eine anders lautende Entscheidung hätte das heutige System gestört.

Lücken im Rechtsschutz?

Solange nur die Pressemitteilung des BGH vorliegt, kann man nicht beurteilen, ob die Verneinung des Weges über § 8 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 UWG wegen des Vorrangs von § 10 UWG und der Klage nach § 14 VDuG zu Schutzlücken führt. Denn beide Instrumente setzen voraus, dass eine Vielzahl von Personen von der unlauteren geschäftlichen Handlung betroffen bzw. Ansprüche von mindestens 50 Personen betroffen sind oder sein könnten. Hier wird mit unterschiedlicher Wortwahl mittelbar definiert, wann man von einer kollektiven Rechtsdurchsetzung sprechen kann.

Was ist aber, wenn es ein paar Verbraucherinnen und Verbraucher zu wenig sind? Sperren § 10 UWG und § 14 VDuG auch dann ein Vorgehen über § 8 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 UWG? Gilt die Sperrwirkung nur für Verbände, denen der Weg über § 10 UWG und/oder § 14 VDuG offensteht, oder auch für andere nach § 8 Abs. 3 UWG Anspruchsberechtigte? Verbleiben zu Unrecht erhaltene Zahlungen dann also beim Unternehmen, wenn bzw. weil die meisten Verbraucherinnen und Verbraucher von ihren individuellen Rückforderungsansprüchen nichts wissen, diese wegen der geringen Höhe und/oder den Kostenrisiken nicht geltend machen oder es sich nicht mit "dem Anbieter" verscherzen wollen? Dies wird man den Gründen entnehmen müssen.

Spannend ist auch, ob darin die oben erläuterte Frage behandelt wird, ob erhaltene Zahlungen noch zu dem vom UWG- bzw. Verbraucherrechtsverstoß ausgelösten Störungszustand zählen oder außerhalb liegen. Nicht einheitlich beantwortet wird ferner die Frage, ob ein Unternehmen, das – wie im Ausgangsfall – Geldbeträge nicht freiwillig (vollständig) zurückzahlt, zumindest verpflichtet werden kann, Verbraucherinnen und Verbraucher auf ihre Ansprüche hinzuweisen. 

Prof. Dr. Jörg Fritzsche ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Regensburg und forscht seit langem zu Fragen des unlauteren Wettbewerbs und des Verbraucherschutzes über das UKlaG.

BGH, Urteil vom 11.09.2024 - I ZR 168/23

Gastbeitrag von Prof. Dr. Jörg Fritzsche, 11. September 2024.