Der Insolvenzverwalter einer GmbH mit Sitz in Deutschland verlangte die Rückzahlung von Umsatzsteuerzahlungen in Höhe von 5,7 Millionen Zloty (umgerechnet etwa 1,36 Millionen Euro), die die Schuldnerin an den polnischen Staat abgeführt hatte. Die Verbindlichkeiten waren aufgrund der Einfuhr außereuropäischer Waren in ihr Logistikzentrum in Polen angefallen. Zu dem Zeitpunkt hatte das Unternehmen bereits einen Insolvenzantrag gestellt.
Die Vorinstanzen ließen den Verwalter jedoch abblitzen: Die deutsche Gerichtsbarkeit sei für die von ihm erhobene Anfechtungsklage wegen der für die polnische Staatskasse geltenden Staatenimmunität nicht zuständig. Bei der Steuererhebung handele es sich um eine hoheitliche Tätigkeit. Dagegen legte der Insolvenzverwalter Revision beim BGH ein.
Der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat möchte jetzt vom EuGH wissen, ob Art. 6 Abs. 1 der VO (EU) 2015/848 über europäische Insolvenzverfahren (EuInsVO) einen konkludenten Verzicht der EU-Mitgliedstaaten auf die Staatenimmunität für Klagen enthält, mit denen der Verwalter Rechtshandlungen für anfechtbar hält, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligten. Das Gericht hat das Verfahren daher ausgesetzt und den luxemburgischen Richterinnen und Richtern zur Klärung vorgelegt (Beschluss vom 16.01.2025 – IX ZR 60/24).
Wandel von "einem absoluten zu einem nur mehr relativen Recht"
Der BGH führt unter anderem aus, dass der Grundsatz der Staatenimmunität ("nicht zuletzt wegen des zunehmend kommerziellen grenzüberschreitenden Tätigwerdens staatlicher Stellen") nicht mehr absolut und uneingeschränkt gelte, sondern von den Umständen abhänge. Zwar habe der polnische Fiskus hier "(u)nbeschadet der privatrechtlichen Einkleidung des Anspruchs (…)" "gegenüber der Schuldnerin ausschließlich hoheitlich" gehandelt. Allerdings hält es der Insolvenzsenat – unter Verweis auf einen Meinungsstreit zur Auslegung von Art. 6 Abs. 1 EuInsVO – für möglich, dass die Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 EuInsVO einen konkludenten Verzicht der EU-Mitgliedstaaten auf Staatenimmunität enthält.
Könne sich ein Beklagter im Anwendungsbereich der EuInsVO über Insolvenzverfahren gegenüber Anfechtungsklagen auf seine Staatenimmunität berufen, seien Zahlungen an ausländische Mitgliedstaaten und deren Organe praktisch von der Insolvenzanfechtung ausgenommen. Auch die Einleitung eines Sekundärinsolvenzverfahrens nach Art. 34 ff EuInsVO in Polen erscheine – vor allem auch aus prozesswirtschaftlichen Gründen – zweifelhaft, so der BGH.