Irreführende Werbung für Kindermilch
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Für die Beurteilung, ob eine Werbung den durchschnittlichen Verbraucher irreführt, ist der Gesamteindruck der Anzeige maßgebend. Der Bundesgerichtshof verlangt dabei die Würdigung jedes einzelnen Merkmals der beanstandeten Reklame. Wer einzelne Elemente nur isoliert betrachte, schöpfe den Prozessstoff nicht ausreichend aus.

"Kinder brauchen 7 x mehr…"

Eine Lebensmittelfirma stellte Kindermilch her und warb für diese Produkte unter anderem auf ihrer Internetseite mit "7 x mehr brauchst du als ich, wirst groß, gesund – ganz sicherlich". Weiterklickenden Nutzern wurde erklärt, der Vitamin D- und Kalziumbedarf eines Kindes sei im Vergleich zu einem Erwachsenen pro Kilogramm Körpergewicht siebenmal höher. Auf der Schmalseite der Verpackung druckte der Hersteller "Bei der Zusammensetzung…wird berücksichtigt, dass ein Kleinkind durchschnittlich 3 x mehr Calcium1 und 7 x mehr Vitamin D1 als ein Erwachsener benötigt." Eine Fußnote stellte dann wiederum die Aussage in Bezug zum Körpergewicht. Der Dachverband der Verbraucherzentralen erhob erfolgreich Unterlassungsklage wegen Irreführung des Verbrauchers vor dem Landgericht München I, unterlag aber vor dem Oberlandesgericht München. Er wandte sich mit der Revision an den Bundesgerichtshof – und gewann.

Gesamteindruck der Werbung maßgeblich

Entgegen der Ansicht des OLG haben die Klageanträge, in denen die Verbraucherorganisation die verschiedenen Werbeaussagen mit "und/oder" verknüpft hat und auf die konkreten Abbildungen der Werbung Bezug nimmt, nicht zur Folge, dass jede Aussage für sich isoliert auf den Verstoß gegen Art. 3 Unterabs. 2a der EU-Health-Claims-Verordnung (1924/2006) zu prüfen ist. Vielmehr, so das Gericht, sei bei der Beurteilung, ob der durchschnittliche Verbraucher irregeführt wird, sowohl der Wortlaut als auch die Abbildung maßgeblich. Lasse ein Gericht einzelne Merkmale der Anzeige außer Betracht, schöpfe es den Prozessstoff nicht – wie in § 286 Abs. 1 ZPO gefordert – ausreichend aus.

Überspannte Anforderungen an "Irreführung"

Der BGH bemängelte weiter, dass das OLG im Hinblick auf die Irreführung von Verbrauchern einen Vergleich der tatsächlichen Zusammensetzung mit der nach der durch die Werbung hervorgerufenen Vorstellung der Verkehrskreise verlangt habe. Diese Forderung hält der I. Zivilsenat für überspannt: Nach dem Vortrag der Kläger liege die Irreführung darin, dass Konsumenten aufgrund der Werbung glaubten, dass Kinder, absolut gesehen, mehr Vitamin D benötigen würden als ein Erwachsener – was nicht der Fall sei. Die konkrete Zusammensetzung der Milch spiele hierfür gar keine Rolle.

Und/Oder-Anträge sind teilbar

Der BGH wies weiter darauf hin, dass Unterlassungsanträge, in denen mehrere Verletzungsformen durch die Formulierung "und/oder" miteinander verknüpft sind, nicht im Ganzen abzuweisen sind, wenn das Gericht wenigstens eine der beanstandeten Handlungsformen als irreführend einstuft. Andererseits sei der Klageantrag auch nur dann in vollem Umfang begründet, wenn Verbraucher hinsichtlich aller aufgeführten Handlungen verletzt würden. Der BGH hob das Urteil auf und verwies es an das OLG München zurück.

BGH, Urteil vom 02.06.2022 - I ZR 93/21

Redaktion beck-aktuell, 25. August 2022.