Zivilrichterinnen und -richter mögen nicht immer erfreut darüber sein, doch dann und wann müssen auch sie sich mit strafrechtlichen Fragen befassen. So etwa durch die Hintertür des § 823 Abs. 2 BGB, der unter anderem an eine strafrechtliche Verantwortlichkeit anknüpft. In einer solchen Konstellation hat der BGH in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss ein Urteil aufgehoben, das sich in Widerspruch zu einem bereits ergangenen Strafurteil gesetzt und eine strafbare Beihilfe zum Betrug – trotz rechtskräftiger Verurteilung – verneint hatte (Urteil vom 07.11.2024 – III ZR 79/23).
Anlegerinnen und Anleger forderten von einer Steuerberaterin rund 49.000 Euro Schadensersatz wegen Beihilfe zum Betrug und vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit Kapitalanlagen bei der mittlerweile insolventen EN S. GmbH. Diese hatte vorgegeben, Speichersysteme zu vermieten. Die Kapitalgeberinnen und -geber investierten in das Geschäftsmodell, das regelmäßige Mieten und hohe Renditen versprach. Allein 2015 investierten sie insgesamt über 112.000 Euro und erhielten Mietzahlungen von rund 63.700 Euro. Tatsächlich betrieb die Gesellschaft ein Schneeballsystem: Die angeblichen Speichersysteme existierten gar nicht, und neue Anlegergelder waren die einzige Einnahmequelle.
Die Steuerberaterin und Buchhalterin war seit 2011 für den Betrieb tätig und heiratete 2014 einen der Mitgeschäftsführer. Sie erhielt ein monatliches Honorar von 13.090 Euro. Ihr Gatte verdiente zuletzt satte 40.000 Euro monatlich – der Clou dabei: Seine Geschäftstätigkeit war weitgehend fiktiv. Nachdem die BaFin 2014 die Verträge als unerlaubtes Einlagengeschäft beanstandet hatte, musste die Firma diese rückabwickeln und bot neue Verträge sowie ab 2015 Anleihen an.
Vorinstanzen widersprachen Strafgericht
Nach einer Selbstanzeige wurde einer der Geschäftsführer 2018 wegen Betrugs zu fast acht Jahren Haft verurteilt. Der Mann der Steuerberaterin starb 2019 in der U-Haft. Seine Frau legte daraufhin ein Geständnis ab und wurde vor dem Strafgericht wegen Beihilfe zum Betrug zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Zudem wurde die Einziehung von 340.340 Euro angeordnet.
Vor den Zivilgerichten bestritt die Steuerexpertin, in das Betrugssystem eingebunden gewesen zu sein. Das Geständnis habe sie im Strafprozess nur abgelegt, um einer drohenden Haftstrafe zu entgehen. Und tatsächlich: Sowohl das LG als auch das OLG wiesen die Schadensersatzklage zurück. Sie waren der Meinung, der Frau sei keine vorsätzliche Beihilfe zum Betrug (§§ 823 Abs. 2, 830 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 263, 27 StGB) oder zur sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) nachzuweisen. Zurecht wiesen sie dabei darauf hin, dass ein – auch rechtskräftiges – strafrechtliches Urteil für einen Zivilprozess keine Bindungswirkung entfalte. Sie erklärten weiter, es ließe sich nicht mit Sicherheit feststellen, dass das Geschäftsmodell mit einem Blick erkennbar auf Täuschung und Schädigung ausgerichtet gewesen sei und die Beraterin dies auch erkannt habe. Dagegen legten die Kläger Revision ein – mit Erfolg.
BGH: Zivilgerichte verkannten strafrechtliche Maßstäbe
Der III. Zivilsenat des BGH hob das Urteil des OLG Stuttgart auf und verwies die Sache an einen anderen Zivilsenat dorthin zurück. Hinsichtlich der Frage einer vorsätzlichen Beihilfe bei berufstypischen "neutralen" Handlungen bei Steuerberatung und Buchhaltung habe das OLG den nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung geltenden Prüfungsmaßstab unzulässig verkürzt, so die Kritik der Karlsruher Richterinnen und Richter. Zu Unrecht habe es dabei allein auf die positive Kenntnis des Schneeballsystems abgestellt.
Das OLG habe sich fehlerhaft allein darauf konzentriert, ob die Beraterin positiv gewusst hatte, dass ihr Arbeitgeber ein betrügerisches Schneeballsystem betrieb, so der BGH weiter. Nach den etablierten strafrechtlichen Grundsätzen könne Beihilfe jedoch auch dann vorliegen, wenn der Gehilfe die Förderung einer Vorsatztat zumindest für möglich halte und in Kauf nehme. So habe die Frau sogenannte berufstypische Tätigkeiten ausgeübt, wodurch sie allerdings unstreitig den Taterfolg nach § 263 StGB objektiv durch ihre Tätigkeit als Steuerberaterin gefördert habe, was plausibel auf ihre Kenntnis des Systems hindeute. Das Gericht hätte insoweit prüfen müssen, ob sie angesichts einer Vielzahl von Belastungsindizien die betrügerische Natur des Geschäftsmodells für "sehr wahrscheinlich" oder jedenfalls "überwiegend wahrscheinlich" gehalten und sie bewusst unterstützt habe. Stattdessen habe das OLG eine Gesamtwürdigung der Umstände unterlassen, was offensichtlich einen Rechtsfehler darstelle.
Zudem habe das OLG laut BGH überspannte Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung (§ 286 ZPO) gestellt. Auch hält der Senat die isolierte Würdigung der einzelnen Beweisindizien ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft der Steuerberaterin sprechenden Umstände für rechtsfehlerhaft. Denn es habe bei der Würdigung der einzelnen Belastungsindizien rechtsfehlerhaft verlangt, dass sich daraus "zwingende" Schlüsse ergeben müssten. Schließlich habe das OLG auch den Anspruch der Anlegerinnen und Anleger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es deren Vortrag zu den Angaben einer Zeugin im Strafverfahren gegen die beiden Geschäftsführer übergangen habe.