Hohes Alter allein kein Härtefall – Herausgabe einer Mietwohnung
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Eine Mieterin kann sich nicht allein darauf berufen, dass sie über 80 Jahre alt ist, wenn sie einer Eigenbedarfskündigung widerspricht. Dem Bundesgerichtshof zufolge müssen bei der Entscheidung, ob sie im Rahmen einer Räumungsklage eine Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen nicht zu rechtfertigender Härte verlangen kann, auch die Interessen der Eigentümerin einfließen.

Kündigung wegen Eigenbedarf

Einer inzwischen fast 90 Jahre alten Frau wurde 2015 nach achtzehn Jahren die Mietwohnung in Berlin wegen Eigenbedarfs gekündigt. Im Hinblick auf ihr hohes Alter, ihren schlechten Gesundheitszustand, ihre Verwurzelung im Bezirk und ihre beschränkten finanziellen Mittel hatte sie der Kündigung widersprochen und sich geweigert, aus der Wohnung auszuziehen. Die Eigentümerin hingegen wollte die Wohnung für ihre gelegentlichen Aufenthalte in Berlin nutzen, anstatt in der Mietwohnung ihres Sohns unterzukommen. In den Vorinstanzen war die Mieterin noch erfolgreich: Sowohl das Amtsgericht Mitte als auch das Landgericht Berlin wiesen die Herausgabe- und Räumungsklage ab. Das LG ging sogar so weit, seine Entscheidung allein auf das hohe Alter der Wohnungsnutzerin zu stützen. Die Vermieterin rief den Bundesgerichtshof an - vorerst mit Erfolg.

Streitpunkt: Härte, die die Verlängerung begründet

Die Eigenbedarfskündigung war nach § 573 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BGB zum 31.07.2016 wirksam - das Mietverhältnis war damit beendet. Knackpunkt war allein, ob die Mieterin nach §§ 574, 574a BGB verlangen konnte, das Mietverhältnis fortzusetzen, weil der Auszug für sie eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen der Eigentümerin nicht zu rechtfertigen wäre.

Alter allein keine Härte

Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Landgerichts aufgehoben, weil es allein auf das hohe Alter der Mieterin abgestellt hat, um die Klage abzuweisen. Es habe andere Aspekte dabei vernachlässigt und entsprechende Feststellungen nicht getroffen. Das ist dem VIII. Zivilsenat zufolge fehlerhaft: Das Gesetz verlange explizit eine Abwägung der gegenseitigen Interessen - das Gericht müsse also alle Gesichtspunkte in die Entscheidung einstellen und gewichten. Weder Art. 25 der Europäischen Grundrechte-Charta (GRCh), der die Rechte älterer Menschen schützt, noch die Ausstrahlungswirkung des Art. 1 Abs. 1 GG oder das Sozialstaatsprinzip würden eine Bejahung der Härte allein wegen des Alters gebieten. Die von der Vermieterin beabsichtigte Lebensplanung sei grundsätzlich zu respektieren und der Rechtsfindung ebenfalls zugrunde zu legen.

Vorgaben zur Bearbeitung

Der BGH verwies den Fall an das Landgericht zurück, damit es nunmehr ein vom Amtsgericht eingeholtes Sachverständigengutachten zu der Art, dem Umfang und den konkreten Auswirkungen eines Umzugs auf die Lebensführung der Mieterin im Fall des Verlusts der vertrauten Umgebung ausführlich würdigen kann. Auch der Erlass der Mietenbegrenzungsverordnung des Landes Berlin und ein Vortrag der Mieterin zu ihren konkreten Bemühungen, eine neue Wohnung zu finden, sind laut den Karlsruher Richtern in die Entscheidung einzustellen. 

BGH, Urteil vom 03.02.2021 - VIII ZR 68/19

Redaktion beck-aktuell, 19. März 2021.