Mehr als dreijährige Verfahrensverzögerung in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren
Eine Mutter von zwei Kindern verlangte vom Bundesland Rheinland-Pfalz eine Entschädigung wegen überlanger Dauer eines familiengerichtlichen Verfahrens. Die Beziehung mit ihrem Lebensgefährten ging Ende 2011 in die Brüche. Die im 2010 und 2012 geborenen gemeinsamen Kinder lebten seit Mai 2013 beim Vater – das jüngere Kind war schon am Tag nach seiner Geburt aus der Familie genommen worden. Das zuständige Amtsgericht wies einen Antrag auf einstweilige Anordnung der Frau zur Regelung des Umgangsrechts im Mai 2014 zurück. Die anschließenden Hauptsacheverfahren über Umgangs- und Sorgerecht zog sich über mehr als vier Jahre. Erst Mitte Juli 2018 entschied das Familiengericht abschließend über die Anträge. Auf ihre Beschwerde weitete das OLG Koblenz das Umgangsrecht aus. Auch stellte es fest, dass das Familiengericht gegen das Beschleunigungsgebot nach § 155 FamFG verstoßen habe. Die Mutter rügte, bei angemessener Beschleunigung wäre das Verfahren innerhalb eines halben Jahres beendet gewesen; sie sei mit 15.000 Euro zu entschädigen. Das beklagte Land stimmte einer Summe von 3.700 Euro zu und wurde in dieser Höhe auch vom OLG verurteilt: Der gesetzliche Regelsatz von 1.200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung sei angemessen und nicht unbillig nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG. Besondere Umstände, die eine Abweichung aus Billigkeitsgründen rechtfertigen könnten, seien nicht gegeben. Dagegen legte die Frau Revision beim BGH ein – mit Erfolg.
BGH: Entschädigungsrelevante Besonderheiten sind entscheidend
Dem III. Zivilsenat zufolge hat das OLG bei der Bemessung der Entschädigungshöhe wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen. Allein der Umstand, dass es zu einer Verzögerung in einer Kindschaftssache gekommen sei, rechtfertige aber noch keine Erhöhung des Regelsatzes. Vielmehr müsse sich das zu beurteilende Verfahren durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten von anderen Verfahren dieser Art abheben, sodass die konkreten Auswirkungen der überlangen Verfahrensdauer die Pauschalhöhe als unbillig erscheinen ließen. Das OLG hätte sich insbesondere mit dem sehr jungen Alter der beiden Kinder und der durch zunehmenden Zeitablauf wachsenden und hier erkennbar bestehenden sehr großen Gefahr einer (endgültigen) Entfremdung zwischen der Mutter und ihren Kindern eingehend auseinandersetzen müssen. Die Tragweite dessen, was für sie auf dem Spiel gestanden habe, hätte das Familiengericht zur größtmöglichen Verfahrensbeschleunigung verpflichtet. Der BGH wies zudem darauf hin, dass das OLG der Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofes für Menschenrechte (so zum Beispiel Kuppinger II/Deutschland) Anhaltspunkte entnehmen könne, wann besondere Umstände für eine Erhöhung des Pauschalsatzes in Betracht kämen. Der BGH verwies die Sache daher zurück.