Hinterherschießen als Notwehrhandlung

Wer dreimal Räubern hinterherschießt, handelt nicht unbedingt in Notwehr. Jede Handlung ist laut Bundesgerichtshof differenziert zu betrachten. Maßgeblich sei dabei die Betrachtung aus der Sicht eines sorgfältig beobachtenden Verteidigers – nicht die des Allwissenden. Dem Beschluss lag ein Fall zugrunde, bei dem ein Opfer dreimal den Räubern hinterhergeschossen und einen der beiden getroffen hatte.

Missglückter Pistolenkauf

Ein geübter Schütze wollte illegal eine Pistole für 4.000 Euro erwerben. Er traf sich mit dem Verkäufer an einer Straßenbahnhaltestelle, um den Kauf abzuwickeln. Neben dem Geld hatte er für alle Fälle einen Revolver bei sich. Der Verkäufer verlangte zuerst die Übergabe des Geldes. Der Käufer weigerte sich misstrauisch. Daraufhin fuhr der andere zunächst davon und kam dann mit einem weiteren Mann zurück. Auch dieser verlangte zuerst die Bezahlung. Der angeklagte Käufer holte das Geld aus der Jacke und zeigte es vor. Er bekam eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht, der Begleiter des Verkäufers entriss ihm die 4.000 Euro und beide flohen. Der Käufer lief zunächst hinter ihnen her und verlangte erfolglos sein Geld zurück. Danach schoss er ihnen zweimal hinterher. Er zielte auf die Oberkörper, verfehlte aber, obwohl sie nur etwa drei Meter von ihm entfernt waren. Als einer der beiden schon außerhalb des Schussfeldes war, schoss der Angeklagte noch einmal aus rund 25 Metern Entfernung und traf seinen vermeintlichen Vertragspartner unter das Schlüsselbein. Als er sah, dass der Getroffene trotzdem weiterlief, gab er die Verfolgung auf. Das Landgericht Bremen verurteilte ihn wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren. Auf seine Revision hin hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf und verwies die Sache zur weiteren Aufklärung zurück.

Drei Schüsse dürfen nicht einheitlich gewürdigt werden

Die Bremer Richter hatten die potenziell tödlichen Schüsse als eine einzige Handlung betrachtet und deren Erforderlichkeit verneint. Die Schüsse seien deshalb nicht durch Notwehr gerechtfertigt gewesen. Grundsätzlich stimmte der BGH dieser Bewertung zu. Der letzte Schuss auf nur einen der Räuber hätte aber gesondert gewürdigt werden müssen, weil hier andere Bedingungen für den Schützen gegeben gewesen seien, so der BGH: Der letzte Schuss sei nur noch auf einen Mann abgegeben worden, wobei unklar sei, ob dieser das Geld hatte und ob der Angeklagte infolge des Tränengases überhaupt hatte sehen können, welcher der beiden Flüchtenden das Geld bei sich trug. Insoweit forderte der 5. Strafsenat weitere Sachaufklärung, um beurteilen zu können, ob der dritte Schuss überhaupt noch geeignet war, die Beutesicherung zu verhindern. Nur wenn er aus ex ante-Sicht als sorgfältig beobachtender Verteidiger nicht erkennen konnte, wer das Geld hatte, wäre laut den Karlsruher Richtern der Schuss auf jeden der Räuber eine Chance gewesen, die Beute zurückzuerhalten. Zum anderen sind laut BGH auch die weitere Entfernung zu dem Räuber und die Tatsache, dass vor dem endgültigen Entfernen des letzten Täters nur noch eine Schussmöglichkeit gegeben war, gesondert zu berücksichtigen.

BGH, Beschluss vom 25.10.2022 - 5 StR 276/22

Redaktion beck-aktuell, 12. Dezember 2022.