Enge Vater-Tochter-Beziehung
Eine Tochter beanspruchte vom Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers restliches Hinterbliebenengeld in Höhe von 7.000 Euro, nachdem ihr 81-jähriger Vater im Dezember 2018 bei einem Verkehrsunfall ohne Verschulden ums Leben kam. Zwischen dem Vater-Tochter-Gespann bestand eine enge emotionale Verbundenheit. Er hatte ihr sämtliche Vollmachten erteilt. Außerdem war sie die erste Ansprechpartnerin, wenn es für ihn "etwas zu regeln" gab. Jedenfalls bis zu ihrer Anhörung in der Berufungsinstanz – etwas über zwei Jahre nach dem Ereignis – litt sie noch stark unter seinem Verlust. Sie hatte Schlafstörungen. Vorgerichtlich zahlte ihr die Assekuranz ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 3.000 Euro.
OLG: Orientierungshilfe für die Bemessung im Einzelfall
Während das LG Flensburg ihr als angemessene Entschädigung lediglich einen Betrag in Höhe von weiteren 3.500 Euro zusprach, gab das OLG Schleswig der Klage antragsgemäß bezüglich der vollen 7.000 Euro statt. Der Betrag von 10.000 Euro bezwecke nach den neu eingefügten Regelungen (§ 844 Abs. 3 BGB, § 10 Abs. 3 StVG) keine Obergrenze, sondern sei eine Orientierungshilfe für die Bemessung im Einzelfall. Schockschäden für psychisches Leid und Hinterbliebenengeld für seelisches Leid stünden dabei in keinem Stufenverhältnis. Es handele sich um zwei unterschiedliche Ansprüche. Die Entschädigung sei deshalb nicht niedriger als Schmerzensgeld zu bemessen. Die Revision der Versicherung beim BGH hatte Erfolg.
Bemessungsgrundlage ist klärungsbedürftig
Der VI. Zivilsenat verwies die Sache zur weiteren Prüfung ans OLG zurück. Dessen Überlegungen zum Verhältnis von Hinterbliebenenentschädigung und Schmerzensgeld bei sogenannten Schockschäden seien falsch. Die Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld diene dem Zweck, den Hinterbliebenen für immaterielle Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsverletzung einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld einzuräumen. Der dem Hinterbliebenen im Einzelfall zuerkannte Betrag müsse deshalb im Regelfall hinter demjenigen zurückbleiben ("Abstandsgebot"), der ihm zustände, wenn das von ihm erlittene seelische Leid die Qualität einer Gesundheitsverletzung hätte. Die Frage, welche Summe "angemessen" sei, könne dabei nur in Ansehung der deutschen Rechtsordnung beantwortet werden. Höhere Entschädigungen anderer europäischer Länder seien nicht relevant. Insoweit könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich die falsche Bemessungsgrundlage auf die Höhe der zuerkannten Entschädigung ausgewirkt habe.