Härteausgleich bei EU-ausländischer Vorverurteilung
Lorem Ipsum
© lettas / stock.adobe.com

Der Bundesgerichtshof legt dem EuGH unter anderem die Frage vor, ob das unionsrechtliche Gleichbehandlungsgebot so auszulegen sei, dass bei Bildung einer fiktiven nachträglichen Gesamtstrafe unter Einbezug französischer Strafen das nach deutschem Recht zulässige Höchstmaß einer zeitigen "Gesamtfreiheitsstrafe" von 15 Jahren überschritten werden darf. Anlass war ein Urteil gegen einen Franzosen, der vor neunzehn Jahren in Freiburg eine Frau vergewaltigte und fast achtzehn Jahre wegen vorheriger Straftaten in Frankreich im Gefängnis saß.

Ein Franzose vergewaltigte eine Frau in Freiburg

Im Oktober 2003 vergewaltigte ein Franzose eine Studentin in Freiburg rund vier Stunden lang unter Vorhalt eines Messers. Er wurde deshalb im Februar 2022 vom LG Freiburg zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von sechs Jahren verurteilt. Der Mann wehrte sich gegen diese Strafe vor dem Bundesgerichtshof, weil er bereits in Frankreich für fünf Taten, die er dort vor Oktober 2003 begangen hatte, zu Freiheitsstrafen in Höhe von insgesamt rund 24 Jahren verurteilt wurde, von denen er fast achtzehn Jahre verbüßt hatte. Das Landgericht Freiburg hatte diese Verurteilungen im Rahmen einer "fiktiven nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe" mit einem Jahr Abzug abgegolten, so dass der Mann statt mit sieben nur mit sechs Jahren Freiheitsstrafe bestraft wurde. Der Bundesgerichtshof legte dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens unter anderem die Frage vor, ob das unionsrechtliche Gleichbehandlungsgebot so auszulegen sei, dass bei Bildung einer fiktiven nachträglichen Gesamtstrafe, bei der ausländische Strafen miteinbezogen werden, das nach deutschem Recht zulässige Höchstmaß einer zeitigen "Gesamtfreiheitsstrafe" von 15 Jahren überschritten werden dürfe.

Grundsätzlich sollen EU-Bürger nicht diskriminiert werden

Da eine echte nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe dem BGH zufolge nicht gebildet wird, weil dem die Souveränität des anderen EU-Mitglieds entgegensteht, fordert Art. 3 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI, dass die ausländischen Strafen wie inländische Strafen berücksichtigt werden. Nach den §§ 53-55 StGB dürfte die Vergewaltigung in Freiburg zwar noch mit einer Einzelstrafe belegt werden, diese Strafe würde aber nicht mehr vollstreckt, weil § 54 Abs. 2 StGB bestimmt, dass die Summe der Einzelstrafen nicht mehr als fünfzehn Jahre beträgt. Der EU-Bürger dürfe aber doch diskriminiert werden, wenn Art. 3 Abs. 5 Satz 1 zur Anwendung käme: Danach wird Art. 3 Abs. 1 nicht angewendet, wenn der Nationalstaat dadurch gehindert würde, eine neue Strafe zu verhängen. Vielmehr wäre dann ein Härtefallausgleich nach Satz 2 durchzuführen.

Begründung und Bezifferung der Berücksichtigung ausländischer Strafen

Für den Fall, dass der EuGH die Überschreitung des zulässigen Höchstmaßes für zulässig hält, fragt der 1. Strafsenat weiter, ob der dem Franzosen erwachsende Nachteil bei der Berücksichtigung seiner ausländischen Strafaussprüche nach Art. 3 Abs. 5 Satz 2 des Rahmenbeschlusses im Einzelnen zu begründen und konkret zu beziffern ist? Falls nicht, befürchtet der BGH, dass dem Härtefallausgleich nur im Rahmen einer Leerformel entsprochen wird. Um aber dem Regelungsgehalt des Art. 3 Abs. 1 und 5 gerecht zu werden, brauche es einen nachvollziehbar begründeten und bezifferten Nachteilsausgleich - auch, damit die Straffestsetzung als wesentlicher Teil der strafgerichtlichen Entscheidung auch überprüfbar sei.

BGH, Beschluss vom 29.06.2022 - 1 StR 130/22

Redaktion beck-aktuell, 9. September 2022.